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Mauern bauen!

Ein Gebrauchtwagenhändler sieht rot: Christoph Heins Nachwenderoman „Willenbrock“

von DIRK KNIPPHALS

Langweilig. Irgendwann im Verlauf dieser Besprechung muss dieses Wort sowieso fallen; warum es also nicht gleich am Anfang hinter sich bringen? Man kann nämlich aus diesem Buch Unmengen von Sätzen wie folgenden beliebig herausgreifen: „Er hatte seiner Frau erzählt, dass er die Fahrt mit einem Kunden machen würde, der sich über ein bei ihm gekauftes Fahrzeug beschwert habe, und er die Beanstandung überprüfen wolle, um dann notfalls eine Nachbesserung vorzunehmen. Susanne war verwundert, dass er . . .“ Und so weiter.

Christoph Hein erzählt in einer gewundenen, trockenen Sprache, und er hält sie über die 320 Seiten seines neuen Romans „Willenbrock“ hinweg ohne ein Wimpernzucken durch. Der Erzähler fungiert in einer stets gleich bleibenden Halbdistanz. Regungslos registriert er die Ereignisse. Streckenweise liest sich das wie eine etwas umfangreiche Aktennotiz, und insgesamt betreibt Christoph Hein ein erzählerisches Abkühlungsprogramm: keine Pointen, nirgends; Sachlichkeit ist Prinzip.

Warum diese Strenge? Mag durchaus sein, dass der Ex-DDR-Autor Hein der heutigen bunten Häppchen- und Medienwelt ein Schnippchen schlagen wollte. Vielleicht hat er auch seinen Ansatz, nur ein Chronist der Geschehnisse sein zu wollen – wie schon in seinen Romanen „Drachenblut“, „Horns Ende“ und „Das Napoleonspiel“ –, um ein weniges zu weit gedreht. Man könnte sich auch vorstellen, dass Hein auf die veränderte Situation als (nun allerdings schon zehnjähriger) Neubundesbürger mit einem tastenden Zusammensuchen der neuen Wirklichkeit reagiert, was ja erst mal auch für Heins intellektuelle Redlichkeit sprechen würde.

Es gibt also, wollen diese Überlegungen nur sagen, kaum wirkliche Argumente, um jemanden, der das Buch nach hundert trockenen Seiten beiseite legt, vom Weiterlesen zu überzeugen. Langweilig? Schon recht. Aber (und nun kommt ein gar nicht auftrumpfen wollendes, dafür ziemlich selbstgewisses Aber) – aber „Willenbrock“ ist ein Buch, zu dem man zwar ganz gewiss keine unmittelbare Liebe, gegenüber dem man aber Hochachtung entwickeln kann. Weil sich die Umständlichkeiten allmählich zur Nachhaltigkeit verfestigen. Und weil man sich, während man immer weiter liest, durchaus in den Sound dieser sperrigen Prosa einswingen kann.

Gäbe es sie nicht, wäre „Willenbrock“ ein Reißer und sogar ein ziemlich billiger dazu. Ein Gebrauchtwagenhändler sieht rot, so ließe sich der Inhalt zusammenfassen, und tatsächlich spielt Hein mit Thrillermotiven. Es gibt eine Figur, die, wie ein Deus ex Machina, immer dann auftaucht, wenn es gilt, die Handlung voranzutreiben. Hier ist es ein Russe namens Krylow, der Bernd Willenbrock gerade rechtzeitig vor dem Showdown eine Pistole schenkt. Es gibt viele sich bedeutsam gebende Szenen, die wie ein Vorgriff auf ebendiesen Showdown funktionieren, auf den man dann auch bald hinliest (natürlich fällt er anders aus als gedacht). Und es gibt ein hintergründiges Thema. Hier ist es die zunehmende Verunsicherung des Gebrauchtwagenhändlers Bernd Willenbrock. Am Anfang scheint er sicher wie eine Spinne im Netz in seinem Leben zu hausen. Dann wird er mehrmals überfallen und fällt, parallel zu seinem ökonomischen Aufstieg, immer mehr aus der Sicherheit seiner Existenz heraus.

Eine Desillusionierungsgeschichte, die wie ein slowburn in Zeitlupe explodiert, das ist „Willenbrock“ an der Oberfläche. Nur dass die Handlungsbögen dafür eigentlich zu lang gespannt sind. Dass zu viele im Grunde überflüssige Details genauestens beschrieben werden. Und dass diese staubtrockene Sprache einen immer wieder stocken lässt. So dass man über die Thrillerebene hinaus zu lesen beginnt – und neben vielem anderen (kleine Porträts von Nebenfiguren, Einblicke in den Polizeialltag, Ost-Westliches) eine genau beobachtete Ehetragödie entdeckt.

Der wichtigste Überfall geschieht im elften Kapitel. Darin steht Bernd Willenbrock einem Einbrecher Auge in Auge gegenüber. Die Unglücksziffer 13 aber hat Christoph Hein einem Kapitel reserviert, in dem nicht viel passiert: Willenbrocks Frau veranstaltet in ihrer kleinen, defizitären Boutique eine Modenschau. Doch vollzieht sich hier das eigentliche Drama.

In dieser Szene wird deutlich, dass Bernd Willenbrock seine Verunsicherung auch als Sensibilisierungsprogramm ins Positive wenden könnte: Zumindest könnte sie ihn mit seiner Frau zusammenschweißen. „Es gibt noch eine andere Susanne, eine Frau, die ich nie kennen gelernt habe“, heißt es hier. Nur dass beide die weitere Handlung über zwar pünktlich um zwei Uhr nachts, zum Zeitpunkt des Überfalls, nebeneinander aufwachen – aber eben nicht miteinander reden; auf solche nebenbei erzählten Details beginnt man beim Lesen zu achten.

Als Stellungnahme zum Stand der gesellschaftlichen Lage (existenzielle Verunsicherung des Mittelstands bei gleichzeitigem ökonomischem Aufschwung) ist der Roman vorhersehbar. Aber er enthält ein ebenso gnadenloses wie beiläufig erzähltes Psychogramm. „Man sollte Mauern bauen. Überall Mauern, anders ist der Menschheit nicht beizukommen“, heißt es an einer Stelle. Die Tragödie aber ist, dass dieser Willenbrock sich selbst immer weiter einmauert.

Christoph Hein: „Willenbrock“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000,320 Seiten, 39,80 DM

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