: Affen und Blaublüter
Aufgeschlossen, ja dankbar für jeden sachdienlichen Hinweis: Studenten der Humboldt-Uni fahnden nach Überresten des Berliner Stadtschlosses
von CHRISTIAN SAEHRENDT
Während die Ideen zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses immer märchenhafter werden, gehen StudentInnen des Kunstgeschichtlichen Seminars der Humboldt-Universität den entgegengesetzten Weg.
Mit buchstäblicher Bodenhaftung und kriminalistischer Energie erforschen sie den Bestand an Spolien, d. h. baulichen Überresten des Stadtschlosses, die sich im Depot des Landesdenkmalamtes in Friedrichsfelde befinden. Mit Hilfe der Depotverwalterin Britta Kaden-Pohl und der Dozentin Dr. Annette Dorgerloh weden Sandsteinbruchstücke von Bauplastiken, Säulen und Bauschmuck dokumentiert und räumlich eingeordnet. Dabei gerät die Seminararbeit zu einem Memory-Spiel: Beim Durchforsten der Fotokartei des Landesdenkmalamtes gilt es, die vorhandenen Fragmente wieder zu erkennen. Erfolgserlebnisse sind dabei selten, denn vom Schloss ist nicht viel übrig geblieben. Als Preis winkt immerhin eine Praktikumsbestätigung des Amtes.
Ein Ortstermin am Schlossplatz fördert erste Spuren zu Tage: Der Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals ist erhalten, der Blick schweift über ausgegrabene Keller zum Amtssitz des Kanzlers. Nach der Sprengung des Schlosses in den Jahren 1950/51 blieb nur der Balkon von Portal 4 vor Ort. Er wurde als Fetisch in die Fassade des Staatsratsgebäudes eingepasst, denn von hier aus hatte Karl Liebknecht 1918 die Republik ausgerufen. Die Macht des Fetischs ist ungebrochen: Kaum war Gerhard Schröder in das Gebäude eingezogen, spürte er den Drang, den Wiederaufbau des Schlosses auszurufen, vermutlich von ebendiesem Balkon herab.
Die Schuttmassen des Stadtschlosses wurden in den Fünfzigerjahren in die Kellerfundamente gefüllt, der Rest über Berlin verteilt, in den Seddinsee gekippt oder in einem Bahndamm bei Potsdam und in Friedrichsfelder Trümmerhügeln verbaut. Insgesamt sind vom Schloss mit seinen gut 1.000 Metern Außenfassade nur noch 200 Bruchstücke erhalten, ca. 40 davon befinden sich im Depot: Torsi von Adlern und allegorischen Großfiguren, die Frühlings- und Sommerhermen, die die Portale 3 und 5 schmückten, Säulen und Säulenkapitelle, Gesimsprofile und Balkonbodenplatten.
Für die Studentinnen und Studenten des Kunsthistorischen Seminars geht es zunächst darum, die Fragmente im Depot zu beschreiben, zu fotografieren und zuzuordnen. Eine weiter reichende Aufgabe wäre das Aufspüren anderer Fundstellen und Lagerstätten, von denen einige schon der Öffentlichkeit bekannt sind. Doch schon jetzt ist absehbar, dass das Auffinden oder gar Bergen weiterer Spolien unwahrscheinlich, bzw. unwahrscheinlich teuer wäre. Es wird wohl mittelfristig beim derzeitigen Bestand mit einem Gesamtgewicht von 35 Tonnen bleiben: Viel zu wenig Material, um daraus eine Rekonstruktion des historischen Erscheinungsbildes abzuleiten. Ein historistischer Schlosswiederaufbau wäre ein kompletter Nachbau alter Formen in zeitgemäßer Stahlbetonbauweise, ein neuer Eklektizismus, den Denkmalschützer und Studierende des Kunsthistorischen Seminars kritisch bis ablehnend betrachten. Ebenso grotesk empfinden sie die Idee eines Neubaus, in den die wenigen erhaltenen Fragmente zitatähnlich eingefügt würden, um eine Alibifunktion für den neuen Investor zu erfüllen.
Viel wichtiger als ein unbezahlbarer Neubau mit vorgehängter historisierender Fassade sei die Sicherung von Mitteln zum Erhalt existierender historischer Bausubstanz, mit der Berlin bislang noch reich gesegnet ist. Trotz dieser Distanz zum Forschungsgegenstand und zu den heimatkundlichen und archäologischen Ambitionen des „Fördervereins Berliner Stadtschloss“ bleibt das Seminar eine spannende Puzzlearbeit mit interessanten Außenterminen. Allen „sachdienlichen Hinweisen“ wird nachgegangen. Mal geht es zum Märkischen Museum, in dessen Vorgarten Säulenkapitelle vom Portal 3 lagern, mal in den Tierpark Friedrichsfelde, wo angebliche Schloss-Spolien den Paviankäfig dekorieren.
Die Herkunft dieser Säulenstücke und Gesimssteine ist nicht restlos geklärt, doch ergaben erste Recherchen: Sie stammen nicht vom Stadtschloss; nur vier Bronzelöwen vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal des Schlossplatzes fanden den Weg in den Tierpark. Aufatmen bei Blaublütigen und Fans der „guten, alten Zeit“: Vom Hohenzollernsitz zum Affenfelsen, das wäre doch etwas zu viel gewesen.
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