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Der nette Platzwart

Wer sich nicht wehrt, wird Teamchef: Rudi Völler wird Vorgänger von Christoph Daum

von MATTI LIESKE

Rudi Völler ist ein netter Mensch. Deshalb wusste er auch nicht recht, was er sagen sollte, als ihn beim „Gipfeltreffen“ des deutschen Fußballs am Sonntag plötzlich alle anschauten und fragten: „Warum nicht du?“ Wer sich nicht wehrt, wird Teamchef, nur dumm, dass der nette Rudi Völler immer noch nicht recht wusste, was er sagen sollte, als er wenig später nach seinem Konzept gefragt wurde. Zugegeben, die Zeit für tiefe Gedanken war kurz, aber was der 40-Jährige, der nun zehn Monate lang den Platzwart für den wahren Platzhirsch Christoph Daum spielen soll, dann sagte, hätte er besser für sich behalten. „Der Zuschauer im Stadion, am Fernsehschirm muss das Gefühl haben, dass die, die da auf dem Rasen stehen, alles geben. Dann kommt auch der gute Fußball automatisch wieder dazu.“ Solche Märchen hat am Ende selbst Erich Ribbeck nicht mehr geglaubt.

Immerhin ist der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit der Berufung von Völler und Daum erstmals von seiner alten Gewohnheit abgewichen, die Nationalmannschaft nur Trainern anzuvertrauen, die lange Jahre in DFB-Diensten gestanden haben. Die Ausnahme war Franz Beckenbauer 1984, aber der wurde auch nicht vom DFB, sondern von der Bild-Zeitung ernannt. Dennoch stellt die Völler-Lösung keinen Bruch mit der Tradition dar, sondern eine pragmatische und durchaus systemimmanente Variante. Kein Ausländer wie Wenger, Cruyff oder van Gaal, die den trägen Verband mit waghalsigen Konzepten aufmischen könnten, kein junger Wilder mit Flausen im Kopf. Stattdessen ein weithin beliebter Fußballdiplomat mit grauen Locken auf dem Kopf, der im System DFB groß geworden ist und immer darin gelebt hat. Vor allem aber eine weitere Übergangslösung.

Am krassesten hat es Willi Schulz gesagt, vor zwei Wochen schon mit seinem Plädoyer für Freiburgs Volker Finke in der taz auffällig geworden. „Was sich der DFB da abbeißt, ist eine Katastrophe.“ Und: „In der Verbandsspitze stimmt es nicht.“ Die salbungsvolle Genugtuung, mit der der designierte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder seine Flickschusterei als „unter den derzeitigen Umständen optimale Lösung“ anpries, stützt die Einschätzung des einstigen Nationalmannschafts-Ausputzers.

Weil „Ruuuudi“, wie ihn die Fans in den Stadien fast lustvoll nannten, so nett ist, bleibt Willi Schulz einer von wenigen, die dem DFB in seinen sauber angerührten Brei spucken. Dennoch stellen sich diverse Fragen. So erschließt sich die Qualifikation Völlers für den neuen Job, vorsichtig ausgedrückt, nicht auf den ersten Blick. Bayer Leverkusen holte den 90fachen Nationalspieler 1994 am Ende seiner Karriere als Sympathieträger aus Marseille, um dem Werksklub ein ansprechenderes Image zu verschaffen. Nach zwei Jahren wurde er dann Sportdirektor. Was er dort an der Seite des umtriebigen Managers Reiner Calmund tat, außer eine gute Figur auf der Tribüne zu machen, erschloss sich nie so ganz, und es scheint auch nicht wichtig gewesen zu sein. Schließlich gab ihn Bayer jetzt im Gegensatz zu Trainer Daum ohne weiteres frei.

An die Seite bekommt Völler einen gelernten Coach, der nicht gleich gefunden wurde, weil am Sonntag offenbar niemand mit Trainerschein am Tisch saß. „Beraten“ wird der neue Teamchef schon von Nachfolger Daum, aber auch von Bayerns Ottmar Hitzfeld. Hinter ihm steht Karl-Heinz Rummenigge als Teammanager. Das reduziert die Tätigkeit des Teamchefs auf Mannschaftsaufstellung und Taktik.

Ein brisanter Punkt ist die neue „Task Force“, der Rummenigge vorsteht und die aus Vertretern jener Bundesliga-Vereine besteht, die Nationalspieler abstellen. „Ein völlig neuer Weg“, jubiliert Rummenigge, doch der Weg riecht nach Ärger für Völler und vor allem für Daum. Schließlich opponierten die Vereine in der Vergangenheit vehement gegen jede Freundschaftspartie, jede Länderspielreise, jedes Trainingslager der Nationalmannschaft. Dass die Klubmanager jetzt, nur weil sie eingebunden sind, kooperativer werden, ist kaum anzunehmen. Bester Beweis: Die Trainerdiskussion der letzten zwei Wochen. Da äußerte sich die von Rummenigge gepriesene „Mitverantwortung der Bundesliga“ vornehmlich dadurch, dass Bayern München und Bayer Leverkusen strikt die Freigabe ihrer Trainer verweigerten. Dass Daum das Amt 2001 übernehmen kann, liegt nur daran, dass sein Vertrag in Leverkusen ausläuft. Gleichzeitig ruft die Machtübernahme der Bayern-Bayer-Connection Besorgnis bei den Underdogs der Liga hervor.

Völler hat zumindest eine Gewissheit: In zehn Monaten ist er wieder weg. So offensichtlich wie sein Unbehagen war bei der Präsentation des historischen DFB-Kompromisses die Begeisterung Daums, endlich, wenn auch mit Verzögerung, seinen Traumjob als Bundestrainer antreten zu können. Ein Enthusiasmus, der offenbar ansteckt. „Uli Hoeneß hat versprochen, dass er auch wieder zu den Spielen der Nationalelf kommt“, wusste Daum. Wenigstens eine gute Nachricht, die der deutsche Fußball in diesen harten Tagen liefert.

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