: Rot-grüne Prostitution
Ein roter Punkt am Revers bedeutet Geld, ein grüner eine Idee für ein Internetunternehmen. Mehr Regeln hat ein FirstTuesday eigentlich nicht
aus München KONRAD LISCHKA
Zwischen dem gediegen-blauen Jackett, der sorgfältig gebundenen Krawatte mit den roten Golfern und der Wolfgang-Schüssel-Brille kämpft Ironie gegen Nervosität. „Ich kann das nicht verantworten“, grinst Jaroslav Rychly. Dann stößt der 37-jährige Kaufmann ein „eigentlich“ hervor und lacht etwas zu schnell drauflos. Die Nervosität gewinnt wieder. Rychly verschränkt die Arme. Er hat drei Kinder und einen gut bezahlten Job als Vertreter tschechischer Unternehmen in Deutschland. Den gibt er bald auf – um eine Internetfirma zu gründen. In einer halben Stunde wird er mit gut 160 anderen Gründern und vielleicht halb so vielen potenziellen Investoren im Münchner Amerikahaus stehen und um Aufmerksamkeit und Geld kämpfen.
Es ist der erste Dienstag im Monat. Menschen wie Rychly zittern heute in New York, Kapstadt, Mailand – an 76 Orten weltweit. Das ganze heißt FirstTuesday. An einem Dienstag Ende 1998 trafen in London ein paar Leute mit Ideen, womit man im Internet so Geld verdienen könne, ein paar andere mit Geld, um aus diesen Ideen erst mal Unternehmen zu machen. Heute ist FirstTuesday selbst eins. Sechs Angestellte in der Londoner Zentrale koordinieren Vortragsgäste und Sponsoren für die Kontaktbörsen weltweit. Ansonsten geht es unbürokratisch zu. Wer eine Idee hat, klebt sich einen grünen Punkt ans Revers. Leute mit Geld tragen rote. Wer nicht dazugehört wie Berater, Anwälte oder Journalisten, bekommt einen gelben Klebepunkt. Rychly ist einer der ganz Grünen. Mit verschränkten Armen schaut er aus dem Café in Richtung Amerikahaus. Noch 20 Minuten. Sein Partner Bernd Jungwirth beugt sich über den Tisch und erzählt von corporate spin-offs, Gründerqualitäten und der Idee. Je mehr er von Nexco, ihrer GmbH in Gründung, schwärmt, desto mehr erinnert er an Bodo Hombach – allein das weit geschnittene Jackett stört. Mobiles Internet wollen sie machen. Eine schnelle Datenbank, die einem hilflosen Menschen in einer großen Stadt sagt, wo es was für wie viel Geld und in welcher Qualität gibt. Mehr kann Jungwirth nicht erzählen, schließlich sind schon Vertraulichkeitserklärungen mit Partnern unterschrieben. Der dritte im Bund, Heimo Hecker, hat die Hände gefaltet auf den Knien. Lange hält er es nicht aus: „Wir hatten die Idee an dem Samstag im Herbst, als 1860 gegen Bayern gewann.“ Die drei lachen los. Ein Blick auf die Uhr, sie springen auf. Visitenkarten dabei? Rychly hat die falsche Hose an. Also keine Karten von ihm. Jungwirth stürmt voran. Zwischen einer Reihe edler Limousinen mit Kennzeichen von Düsseldorf bis Berlin hindurch – sind wohl viele Rotgepunktete da. In der Hand hält er die schwarze Mappe mit Infoblättern und dem Business-Plan für die nächsten Jahre.
Es ist heiß, stickig, laut und eng
Durch den grauen Nieselregen leuchtet aus der Eingangshalle warmes, einladendes Licht. Drinnen aber ist es heiß, stickig, laut und eng. Der Weg zum Empfangstisch dauert länger als das Herunterladen eines Videos im Internet. Die drei Gründer heften sich ihre grünen Pünktchen an die Brust und schauen etwas verloren drein. Jungwirth sichert einen Stehtisch im Gewusel. Bleiche, hagere Mittzwanziger in Sweatshirt und Anzugshose, Damen in eleganten Kostümen, Herren in edlen Anzügen, Studentinnen mit schicken, übergroßen Brillen schieben sich plaudernd vorbei. Die kleinen Punkte sind kaum zu erkennen, man muss sich nah heranwagen. Dumpfes Murmeln schwillt an und ab. Rychly grinst, Hecker wirkt noch hagerer, faltet die Hände auf dem Tisch, Jungwirth hält sich mit einer Hand dort fest, die andere kreist, ein Weinglas haltend, im Halbkreis. Jungwirth beobachtet die Umgebung, lacht über das Gemurmel hinweg: „Ein guter Gründer kann einschätzten, wer welchen Punkt trägt.“
Man bleibt unter sich
Bei Thomas Haida funktioniert das nicht. Er trägt keinen Anzug. Unter der schwarzen Lederjacke hat er ein Schweatshirt, drückt sich mit einem Brötchen in der Hand an den Leuten vorbei. Der 33-Jährige schaut sich für den Wagniskapitalgeber Speed Ventures Ideen an und beurteilt deren Machbarkeit. Ein paar Jungs mit grünen Punkten huschen hinter ihm her. Einer in schwarzer Jacke bleibt betreten in der Ecke stehen. Der jüngste und braungebrannteste ist als erster da. Jaron Schächter ist gerade mal 21 und hat bereits einen 20-seitigen Businessplan in seiner schwarzen Ledermappe. Und bunte Prospekte auf matt glänzendem, dickem Papier. Eine Viertelstunde lang erzählt er Haida von Skiwelt.de, 25 Skistars, die exklusiv für das Onlineangebot schreiben, von den Kooperationspartnern AOL, ZDF, RTL, von Plänen für eine Expansion mit einem Netzladen für Skireisen und Zubehör. Haida murmelt, tippt auf die schwarzen Zahlenkolonnen. Schächter streicht sich über das blondierte Kinnbärtchen, etwas zu gelassen für einen schmächtigen Frühzwanziger in schicken Klamotten.
Zurückgeblieben ist der junge Mann in der schwarzen Jacke. Ralf Weller will übers Netz die Musik unbekannter Bands vertreiben – und sie damit bekannt machen. Er schaut zu Haida und dem Skifetischisten.
Die drei Nexco-Gründer stehen noch an ihrem Tisch. Jetzt mit Weingläsern und zwei lachenden Damen. Ehemalige Arbeitskolleginnen Jungwirths. Dumm nur, dass die auch grüne Punkte und Ideen statt Geld haben. „Man bleibt unter sich“, meint Rychly, lächelt dünn, die Arme vor der Brust verschränkt. Jungwirth ruft mit rotem Kopf von der anderen Seite des Stehtischs herüber: „Wir arbeiten dran.“
Haida verabschiedet sich mit einer Hand von Schächter, in der anderen hält er ein Camembertbrötchen. Er schwärmt vom „Office“ von Speed Ventures: mehr Konferenzräume als Büros, ständiges Kommen und Gehen – dynamisch, flexibel, pulsierend wie ein Ameisenhaufen. Und dann urteilt er mit einem halben Brötchen im Mund zwischen zwei Bissen: „Die Ski-Seite hat den Vorteil des exklusiven Inhalts. Aber die kalkulieren ihr Personal viel zu niedrig, haben nichts besonderes, um Leute in der Zeit zwischen Skigroßereignissen zu locken, und planen nicht über 2003 hinaus.“ Es wird also „offene“ Gespräche geben – wie mit den Wirtschaftsjuristen auch. Geld fließt bei FirstTuesday kaum. Bei Speed Ventures wird nach dem ersten Gespräch eine Idee erst mal im „Office“ besprochen, dann gegebenenfalls an das „Board“ in der Zentrale weitergereicht. Erst danach kann Geld fließen. Nach den spektakulären Pleiten von Internetläden wie Boo.com und Netimperative.com, den verschobenen Börsengängen des Buchvertreibers Bol.de und des E-Mail-Versenders Gmx.de sind die goldenen Zeiten für Start-ups vorbei. „Wir wollen eine konkrete Gewinnperspektive“, meint Haida.
„Das klingt ja sehr interessant“
Der Musikfreund in der schwarzen Jacke steht noch am Ausschank. Er erzählt einem Herrn mit Ron-Sommer-Brille und dunkelblauem Anzug von den Regensburger Bands, die er schon im Internet präsentiert. „Das klingt ja sehr interessant“, grinst die Brille über ein Glas Wasser hinweg: „Sie können mir ja mal ihren Businessplan zuschicken.“
Gewinner und Verlierer stehen nach drei Stunden Plauderei bei FirstTuesday fest. Der Schwarzbejackte hat 30 Visitenkarten verteilt, 3 bekommen. Eine davon gehörte dem grinsenden Mann am Buffet. Die drei Nexco-Gründer haben da eine ausgewogene Bilanz. Vier konkrete Gespräche stehen jetzt in der nächsten Woche an. Jungwirth hat nun unverkennbare Ähnlichkeit mit Bodo Hombach – er grinst breit und entspannt: „Geld wird nicht an Ideen, sondern an Menschen vergeben.“
Ein langer Herr mit rotem Punkt lacht vergnügt: „Hier herrscht die modernste Form der Prostitution.“ Das möchte er dann doch lieber nicht gesagt haben, zumindest nicht namentlich. Ganz so formlos und ungezwungen ist die Atmosphäre nicht, obwohl sich der Rotpunkt beim Gespräch mit Kollegen Popcorn in den Mund schiebt. 25 Visitenkarten haben ihm Gründer zugesteckt, zurückrufen wird er höchstens 4. Denn: „So wichtig sind Ideen nicht. Die kann man auch gut kopieren. Hauptsache ist die Gewinnperspektive, die Sache muss fliegen.“ Er greift sich die nächste Popcorntüte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen