DER BESUCH VON IRANS PRÄSIDENT MOHAMMAD CHATAMI IST EINE CHANCE: Ein ganz normaler Staatsgast
Soll man, darf man Irans Staatspräsident Mohammad Chatami in Berlin empfangen? Will da nicht wieder ein Diktator durch den Handschlag mit deutschen Politikern reingewaschen werden? – so der Verdacht vieler ExilantInnen.
Doch diese Aufregung ist unangebracht. Chatami ist nicht schlechter als viele andere Staatsbesucher vor ihm. Und vor allem: Sein Besuch weckt bei vielen IranerInnen die Hoffnung, die seit über zwanzig Jahren währende Isolation ihres Landes könnte bald durchbrochen werden. Chatami ist kein Engel: Während der Islamischen Revolution und in den Jahren danach stand er für ein System, das tausende Gegner ermorden ließ. Doch Chatami ist auch kein Verbrecher, kein einziger Mordbefehl ist ihm persönlich nachzuweisen.
Was man dem iranischen Staatspräsidenten vorwerfen muss, ist seine Zögerlichkeit während seiner bisherigen Amtszeit. Ein Jahr ist es her, dass Studentenproteste in Teheran blutig niedergeschlagen wurden. Die Verantwortlichen sind noch immer auf freiem Fuß, etliche Studenten inhaftiert. Ungeklärt ist auch die Mordserie an Intellektuellen, Schriftstellern und anderen Oppositionellen. Es waren aber gerade diese Menschen, die den unbekannten Chatami vor drei Jahren wählten.
Chatami sollte nun beim Wort genommen werden. Er muss seine Wahlkampfversprechen von mehr Freiheit einlösen. Das kann auch im Rahmen eines Staatsbesuches geschehen. Es geht nicht darum, ob Gespräche geführt werden, sondern wie sie geführt werden. Diejenigen deutschen Politiker, die jetzt eine Absage der Visite fordern, sitzen „Wahrheiten“ einer iranischen Exilopposition auf, die den Kontakt in die Heimat längst verloren hat. Nach 20 Jahren im Exil kämpfen sie noch immer für die Ziele von 1979. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kaum jemand wird noch ernsthaft den Marxismus-Leninismus als Alternative zur derzeitigen globalen Ordnung propagieren.
Von iranischem Boden wird keine Weltrevolution ausgehen, auch wenn einige Exiliraner das noch immer hoffen. Sie stehen im krassen Widerspruch zur iranischen Bevölkerung, die vor allem eines will: ein besseres, westlich orientiertes Leben, mit Satelliten-TV und Diskotheken. Für viele IranerInnen bedeutet der Deutschland-Besuch ihres Präsidenten einen Schritt zu dieser lang ersehnten Öffnung. Nicht weil der Staatsgast Chatami heißt, sondern weil die Visite einen weiteren Schritt weg von der Islamischen Republik bedeutet. Wer jetzt dagegen schreit, macht sich auch zum unfreiwilligen Komplizen jener Kräfte, die das verhindern wollen – im Iran, weil sie dort an der Macht bleiben, und im Exil, weil sie ihre Überzeugungen nicht aufgeben wollen. THOMAS DREGER
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