ich, der antichrist:
von KARL WEGMANN
Ich bin das Böse! Abgrundtief schlecht und grenzenlos gemein. Ich säe Hass und bringe den Tod – ich bin Hundebesitzer! Mütter bringen ihre Kinder in Sicherheit, wenn sie mich kommen sehen, Greise zeigen mit ihren gichtgekrümmten Fingern auf mich und Taxifahrer lassen mich angeekelt stehen – ich bin der Antichrist! Und ich bin nicht allein!
Wir sind leicht zu erkennen, Kollege Manfred Kriener hat kürzlich seine subtile Beobachtungsgabe eingesetzt und einen ausgezeichneten Steckbrief verfasst: Wir sind alle hässlich. Wir haben alle lange, fettige Haare, einen Bierbauch, jede Menge Goldkettchen und einen IQ, der knapp unter unserer Schuhgröße liegt. Kurz: Nix im Kopf, nix in der Hose, dafür aber das Verderben an der Leine. Man sollte uns einschläfern, aber vorher noch zum Friseur, waschen und schneiden.
Ich habe zwar nur einen kleinen Hund (Schulterhöhe 26 cm), aber das ist egal. Das große Sommerloch-Thema hat mein wahres Gesicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Denn so wie in jedem Marmorblock eine Statue steckt, in jedem Mann ein Vergewaltiger, so steckt in jedem Hund ein Kindermörder – man muss ihn nur rauslassen. Und genau dafür bin ich zuständig, ich bin der Henker, mein Hund ist das Beil.
Dabei fing alles ziemlich harmlos an. Andere, normale Jungs wollten mit Pistolen und Panzern spielen, aber ich wollte lieber eine weiße Maus. Später bettelte ich um Hamster, Fische, Kaninchen und um einen Foxterrier. Ich bekam die meisten Tiere (vorzugsweise die, die man essen kann), aber nie einen Hund. Diese frühkindliche Fehlentwicklung ist die Ursache meiner jetzigen Probleme, meiner schrecklichen Realitätsferne. Denn inzwischen habe ich zwar einen Hund (Jack Russell Terrier), aber ich sehe die Welt völlig falsch. Ich verwechsle stets Gut und Böse und bringe so unsagbares Leid über meine Mitmenschen.
Ich kann zum Beispiel rasend wütend werden, wenn irgendein besorgter Bürger Fleischbällchen mit Rasierklingen oder Rattengift drin im Park auslegt und wieder ein paar Hunde jämmerlich verrecken. Dabei sind es doch nur mitdenkende, liebevolle Menschen, die unsere Kinder schützen wollen. Sie sind die neuen Helden der Nation: Töte einen Hund und zeige, dass du ein wahrer Mensch bist. Ich kann das nicht. Ich trau mich nicht. Ich kann meinem Terrier (Name: „Paddy Clarke Hahaha“) einfach nicht klarmachen, dass er ein potenzieller Kinderkiller ist. Ich schwöre, ich habe in den letzten Tagen oft mit dem Hammer vor ihm gestanden, ihm tief in die braunen Augen geschaut und gesagt: „Du Schwein! Du willst also Kinder töten? Leugne nicht, du musst sterben!“ Dann hebe ich den Hammer und ... Weiter komme ich nicht. Ich bin zwar der Antichrist, aber ich bin auch feige.
Ich hab schon meine Nachbarin gefragt, ob sie nicht ... Als Frau sei sie schließlich eine potenzielle Mutter und damit direkt bedroht. Aber sie meinte nur: „Wer sich einen Hund anschafft, muss ihn auch selber umbringen.“ Da sehen Sie’s. Ich tauge nichts. Ich bin schlecht, gemein und hässlich. Ich bin immer noch Hundebesitzer.
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