virtuell am rande des ruhrgebiets: Medienkunst als Geschichtslabor: „vision.ruhr“ in der Dortmunder Zeche Zollern
Cyberkumpel
Medienkunst und Bergbau haben eines gemeinsam: die Finsternis. Ein Grund mehr für die Entscheidung, die modernste und teuerste Kunstschau, die in Dortmund je veranstaltet wurde, in die denkmalgeschützten Bauten der ehemaligen Zeche Zollern II/IV zu legen – schon dieses Industriemuseum ist ein touristisches Juwel.
Unübersehbares Vorbild für „vision.ruhr“ war das ZKM in Karlsruhe. Dieses Großlabor der Avantgarde lieferte nicht nur das Muster, sondern auch einen Teil der KünstlerInnen. Jill Scott war und Jeffrey Shaw ist am ZKM engagiert, andere sind in dessen Sammlung vertreten. So stellt sich aber auch die Frage, was „vision.ruhr“ außer einem anderen Standort bieten kann: Themenausstellungen kranken häufig daran, dass ihr Motto zu unpräzise ist oder sich in den Exponaten nicht wieder findet.
Gegen diese Beliebigkeit der Etikettierung setzten die KuratorInnen auf Kooperationen mit den KünstlerInnen. Schließlich hatten sie zwölf ortsbezogene Arbeiten zusammen, fast die Hälfte der gezeigten Produktionen. Die künstlerischen Visionen sind dabei keine politischen oder sozialen Utopien, sondern Experimente mit der medialen Zukunft. Und die Ruhr ist ihnen, egal, ob sie aus Australien, Japan oder Dordrecht kommen, die gute alte rußige Industrielandschaft. Grüngürtel und Technikparks bleiben ausgespart. Zu verlockend ist das Wechselspiel von anachronistischer Industriekulisse und virtueller Ästhetik, die ins 21. Jahrhundert vorausgreift.
Tatsächlich ist der Unterhaltungswert der Schau sehr groß. Medienkunst wird immer mehr zum Mitmachtheater. Jochen Gerz forciert diesen Trend mit seinem Projekt „Das Geschenk“ (siehe Interview). Er adaptierte sein erstmals in der Region Lille-Roubaix fast zeitgleich realisiertes Konzept „Le Cadeau“ auf Ruhrgebietsverhältnisse. Beteiligt sind als Ausführende Studierende der Fachhochschule Dortmund und die BesucherInnen. Auch das Künstlerduo Sommerer/Mignonneau integriert das Publikum: Wer will, tritt real ein in die Welt der Industriegeschichte und wird in Projektionen alter Fotografien eingebaut. Per Ausdruck wird diese Zeitreise zum Mitnehmen dokumentiert.
Das spielerische Angebot von Geschichtserfahrung wird ergänzt durch eine konsequent durchdachte Installation von Jill Scott zur gesellschaftspolitischen Dimension der Ruhrgebietsgeschichte. Sie nutzt das Foyer der Zechenverwaltung, einen ambitiösen Raum nach Art einer römischen Palastaula. Dort, wohin nie ein Arbeiter seinen Fuß setzen durfte, porträtiert Scott typische Figuren, wie sie die Bevölkerung des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundert ausmachen. Schlagworte wie Frauenarbeit und Emanzipation, Immigration und Kampf um politische Rechte bekommen anhand der DVD-Porträts Gesichter. Mit dem „Secret-Handshake-Interface“ greifen die BesucherInnen ins Geschehen ein: Sie lassen die Figuren im generationsübergreifenden Erfahrungsaustausch miteinander reden und starten Filme von Demonstrationen.
Einige Arbeiten treiben vergleichsweise geringen Aufwand, machen aber süchtig. Zu ihnen gehören die Beiträge von Laurie Anderson und Studio Azzurro. Anderson bittet die Leute zu Tisch, an dem sie mithilfe ihrer Unterarme hören. Studio Azzurro, deutlich mit Theatererfahrung, lädt dazu ein, durch lautes Klatschen geheimnisvolle Wesen aus ockerfarbenen Schlammseen aufzuwecken. Ehe sie wieder verschwinden, tanzen oder kämpfen sie einige Augenblicke miteinander. Mit größerem Aufwand, aber auch faszinierender, zieht dieselbe Truppe das Publikum in eine kafkaeske Welt aus drei hintereinander gestaffelten Glastürwänden. Man kann wie durch Sicherheitsschleusen hindurchgehen. Indessen versuchen Scharen von virtuellen Menschen verzweifelt, diese Glaswände zu überwinden, indem sie immer wieder dagegen springen, sich unterstützen und behindern. Netzkunst und internetbezogene Arbeiten spielen in Dortmund nur eine Nebenrolle und können nicht überzeugen. Ihr Thema ist das Internet – dieser selbstreferentiellen Falle können sie nicht entrinnen. Nach Jochen Gerz ist nicht jeder Mensch ein Künstler, sondern jeder Künstler ein Mensch. Gleichwohl ist in Dortmund zu erfahren, dass interaktive Kunst sich nicht in Malaktionen auf Stadtteilfesten und in unterhaltsamen Spielen erschöpft.
CHR. DANELZIK-BRÜGGEMANN
„vision.ruhr: Kunst Medien Interaktion“ bis 20. 8., Industriemuseum Zeche Zollern II/IV Dortmund; Katalog 39 DM (www.vision-ruhr.de)
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