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■ Urdrüs wahre KolumneNatursekt von Kuno?

Der optimale Einstieg in einen neuen norddeutschen Regentag ist es wohl, wenn man bereits am frühen Morgen dem älteren Boten eines ortsansässigen Großbetriebs vor dem Eingang zur Post begegnet, der mit seiner Beute von der Postfachabholung einfach so dasteht und mit brüchigem Belcanto frei nach Udo Jürgens singt „Griechischer Wein/das ist das Blut der Erde ...“ und dabei sirtakimäßig in den Kniekehlen einknickt.

Selbst der täglichen Fron am Arbeitslatz mag man danach froh begegnen, und vollkommen wird das Glück, wenn der Familienanzeigenteil des Weserkuriers der zynischen Sau in dir anschließend auch noch diese Natursekt-Perle der Poesie zum Saufen vorwirft: MEINE EINZIGARTIGE BLUME/braucht immer Wasser,/ um ewig bestehen zu bleiben./ Ich, dein Regenbogen, versuche/es dir immer zu schenken./DANKE dafür, dass du,/meine Blume, durch dein Dasein/mir viel Kraft schenkst, ein großer Wasserfall zu werden. Unterschrieben ist die anonyme Botschaft aus des Dadaismus vollster Herzensgüte mit „dein kleiner Regenbogen“, doch heute, liebe LeserIn, schenke ich sie weiter an dich, denn Liebe lässt sich bekanntlich durch Weiterverteilung nicht erschöpfen... Und warum schalten Farbtherapeutinnen, Sozialpädagogen und Bankangestellte solche Anzeigen nie in dieser unserer taz?

... und melde ich hiermit Gebrauchsmusterschutz an für den Slogan „Kuno ist Böse“, auf T-Shirts, Baseball-Kappen, Strandfrotteetüchern, Kindergartenfrühstücks-taschen, Einkaufstüten und anderen Datenträgern, auch in Verbindung mit Zusätzen wie „Zurück in die Tonne“ oder „Sauf doch lieber Schultheiss“. Der Reinerlös aus den anfallenden Lizenzgebühren fließt der antifaschistischen Initiative „Oscars aus der Mülltonne“ zu, die ihre Gründung dem Blödschnack des Berliner Staatssekretärs Kuno Böse verdankt, wonach die Selbstständige Politische Einheit Westberlin einst der „Mülleimer der Bundesrepublik“ gewesen sei, besiedelt von „Kriegsdienstverweigerern, Aussteigern und Hausbesetzern“. Soll nur kommen, der Reisekadar aus der Metropole der ultrafiesen Hausmeister und Pitbull-Lover, um als neuer Bremer Innenstaatsrat den volkstümlichen Warmduscher Berni Schulte in die Ecke der Hardcore-Buletten zu schubsen: An natürlich gewachsenen Feindbildern kann man als Kopfjäger und Skalpsammler nie genug haben!

Wie mir durch vertrauliche Informationen aus der bremischen Wirtschaftsförderung bekannt wurde, knallten dort in der vergangenen Woche die Sektkorken. Grund für die überbordende Freude: Auf Empfehlung von Roland Berger gelang es, dem Heidepark Soltau für 5 oder 50 Millionen DM die Rechte für die Ausrichtung der nächsten Weltmeisterschaften im Pfahlsitzen abzukaufen – immer vorausgesetzt, dass bis dahin die Freiluft-Arena des Kulturzentrums Schlachthof mit Pols-tersitzen und Fußbodenheizung versehen ist, wofür vorsorglich schon mal 5 bis 50 Millionen WAP-Mittel bei der Stiftung Wohnliche Stadt oder bei der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft geparkt werden. Im Übrigen hoffen die Wirtschaftsförderer, auch noch die nächsten Europameisterschaften im Dauerskat für Bremen sichern zu können, wofür allerdings noch die Halle 10 auf der Bürgerweide gebaut werden muss. Sparalternative wäre im Interesse der Nachhaltigkeit die Contra-Re- und Bock-Bespielung des Musical-Theaters am Richtweg – die Umbauarbeiten müssten allerdings im Herbst dieses Jahres beginnen. Immerhin sollen die Jekyll & Hyde-Produzenten schon zugesagt haben, die Höhe der Ablösesumme zu kalkulieren. „Nach der Abstimmung im Bundesrat ist das jetzt Kanzlersache“, gab sich Hartmut Perschau auf Fragen nach der wirtschaftlichen Machbarkeit zuversichtlich und Bürgermeister Henning Scherf rief meinem Gewährsmann fröhlich aus dem Fahrradsattel zu: „Das wird sich darstellen lassen!“

Und jetzt geht der Sommer richtig los, der bitte schön aus vollen grünen Flaschen zügig zu genießen ist, empfiehlt schon mal mit Schaum vorm Mund

Ulrich

„Holstenschreck“ Reineking

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