: „Deutsche Unternehmen tragen eine Mitverantwortung“
Der Skandal könnte ein frühes Ende der Wiederaufarbeitung nach sich ziehen, sagt Mycle Schneider, Träger des Alternativen Nobelpreises, der die Sicherheitsmängel aufdeckte
taz: Wird die Aufdeckung der Sicherheitsmängel in Cadarache durch Ihren Energie-Infodienst WISE zur Schließung der Brennstäbefabrik führen?
Mycle Schneider: Ich gehe davon aus, dass jetzt öffentlicher Druck auf die französische Regierung entstehen wird.
Immerhin hat die Betreiberfirma Cogéma genug Einfluss, um sich die Behörden fünf Jahre vom Hals zu halten.
Bisher ist das Thema auch nicht auf die Ministerebene gelangt. Bei unseren Recherchen waren die Atombehörden überraschend entgegenkommend – so etwas haben wir in 17 Jahren Arbeit noch nicht erlebt. Offenbar wollen auch die Behörden jetzt den Druck erhöhen und die Minister zwingen, sich des Problems anzunehmen.
Welche Rolle spielen die Deutschen?
Cadarache ist komplett als Fertigungsanlage auf die technischen Spezifikationen von Siemens ausgelegt worden – Siemens verkauft die Brennstäbe weiter an die deutschen AKW-Betreiber. Der ehemalige Leiter der Hanauer Brennelementefabrik, Herr Krellmann, war ja sogar jahrelang Chef der Cadarache-Anlage. Cadarache soll zwei Drittel der deutschen MOX-Brennstäbe herstellen. Sie ist das Herzstück für die Verarbeitung des deutschen Plutoniums.
Haben deutsche Firmen Einfluss genommen?
Das kann ich nicht sagen. Aber es kann Siemens doch nicht egal sein, unter welchen rechtlichen und sicherheitstechnischen Bedingungen seine Brennstäbe gefertigt werden – in einer Anlage, die nur für Siemens und deutsche Stromversorger betrieben wird. Insofern tragen die deutschen Unternehmen natürlich eine Mitverantwortung.
Was erwarten Sie von der deutschen Regierung?
Im Atomkonsens wurde ja Folgendes vereinbart: Die Stromversorger müssen nachweisen, dass das Plutonium, das von den abgebrannten Brennelementen abgetrennt wird, auch wieder verwertet werden kann in MOX-Brennelementen. Sie dürfen nur dann weiter Atommüll wieder aufarbeiten lassen, wenn diese so genannte „schadlose Verwertung“ sichergestellt ist. Wenn nun zwei Drittel der Verarbeitungskapazität für deutsches Plutonium wegbrechen, dann muss sich die deutsche Regierung Gedanken machen, ob sie nicht die Wiederaufarbeitung in Frankreich erheblich früher beenden muss.
Bislang ist eine Übergangsfrist von fünf Jahren vorgesehen. Könnte das auch einen Sofortstopp bedeuten?
Schon ohne die Schließung von Cadarache könnte man den Transport weiterer Brennelemente zur Wiederaufarbeitung unterbinden, weil die Stromversorger über mehr als 20 Tonnen unbestrahltes Plutonium in Frankreich und England lagern, die noch gar nicht weiterverarbeitet wurden.
Gibt es keine Ausweichmöglichkeiten für die Deutschen?
Darauf basiert gerade der Versuch der „Erpressung“, den die Aufsichtsbehörde durch den Betreiber erfährt. Die Kapazitätserweiterung der einzigen anderen französischen Anlage, Melox in Marcoule, ist durch das Koalitionsabkommen der französischen Regierungsparteien, die englische Sellafield-Anlage durch einen Fälschungsskandal blockiert. Die andere europäische Anlage im belgischen Dessel ist bis 2006 ausgebucht. Es gibt keinen Ausweg.
Wie kann es passieren, dass eine Anlage ohne Genehmigung produziert?
Die Anlage wurde Anfang der 60er als „Labor“ deklariert. Cogéma konnte sich offensichtlich bislang stets mit dem Hinweis auf industrielle Interessen Frankreichs durchsetzen. Leider gibt es keine transparenten, demokratischen Standards für solche Verfahren in Frankreich. Dadurch ist die Öffentlichkeit nie aufmerksam geworden.
Wie wird der deutsche Atomausstieg in Frankreich aufgenommen?
Erst vor zwei Wochen hat in der Nationalversammlung eine Konferenz stattgefunden unter dem Titel „Atomausstieg“ – ohne Fragezeichen. Trotzdem haben nicht nur der Industrieminister und die Umweltministerin teilgenommen, sondern auch der Präsident des Stromkonzerns ÉDF. Das illustriert, dass nun selbst in Frankreich die Dikussion über den Ausstieg enttabuisiert ist.
INTERVIEW: MATTHIAS URBACH
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