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In die Binsen gegangen

Ernte beginnt in der Haseldorfer Marsch. Die vier letzten Bauern in Deutschland arbeiten im Schlickwatt der Elbe  ■ Von Michael Rahn

In der Haseldorfer Marsch gehen zurzeit Männer in die Binsen. Jeden Morgen bei Hochwasser machen sie sich mit Kähnen und Schuten auf den Weg. Ihr Ziel sind die Watten der Elbe. Dort leuchten ihnen schon von weitem die kräftigen dunkelgrünen Simsen entgegen, aus denen Kunsthandwerker so hervorragende Stuhlpolster flechten können.

Die vier letzten Binsenbauern in Deutschland sind allesamt nur wenige Wochen im Jahr auf ihrem Land aktiv, das täglich zweimal überflutet wird. Ralf Richter (38) zum Beispiel ist einer von ihnen. Der kräftige Hetlinger, der als Elektriker mit Phasenprüfer und Schraubenzieher umgehen muss, hat die traditionelle Landwirtschaft bei seinem Großvater kennen gelernt.

Seit ein paar Jahren ist er der Herr über die knotenlosen mit Mark gefüllten Stängel, die sich im Schlickwatt gegen Reet und Röhricht durchsetzen müssen. Etwa 15 Hektar Fläche hat Richter gepachtet. „Ein Drittel ernten wir jedes Jahr ab“, sagt der 38-Jährige. Normalerweise freut er sich sehr auf den Job, der ihn mitten in der Natur und fernab vom Alltagslärm entspannt.

Doch in diesem Jahr mit viel Regen und Feuchtigkeit zerrt die kalte Witterung auch an seinen Kräften. Bis zu den Knien versinken die Binsenschneider in Schlick und Wasser. Harte Knochenarbeit ist das, was die Männer leisten. Etwa zehn Kilogramm schwere Bünde des Sauergrases werfen sie auf ihre Kiepen. Den Rekord eines Tagesschnitts hält bislang Bernd Seifert, Sohn des Altbauers Gerhard Seifert. 289 Bünde zählte er nach getaner Arbeit.

Mit dem Schnitt und Transport ist die Arbeit aber noch längst nicht geschafft. Die Bünde werden auf abgemähten Feldern zum Trocknen aufgefächert und später auf Gestellen getrocknet, bis der letzte Tropfen Feuchtigkeit raus ist. „Goldgelb und ölig muss der Halm schimmern“, sagt Binsenbauer Ralf Richter. Auch wenn die Binsen in diesem Jahr auf Grund der feuchten Witterung nicht so hoch geschossen sind, ist die Qualität gut, hat Richter mit seiner Erfahrung festgestellt.

„Die Flechter verarbeiten die Binsen aus dem Süßwasser der Elbe gern, denn sie sind elastischer als die im Salzwasser geernteten Konkurrenz-Produkte aus den Niederlanden“, schwärmt Altbauer Seifert. An den meisten Flüssen und Seen in Europa hat das Schilfgras aber inzwischen die Binse fast verdrängt.

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