St. Pauli – Die Welt

■ Themenabend St. Pauli auf Arte: Mal mehr und mal weniger Klischee

Konkurrenz für Roland Klicks Supermarkt gibt es heute Abend im Fernsehen. Der Drei-Länder-Sender Arte hat sich einen Themenabend zu St. Pauli vorgenommen. Zwei Dokumentationen werfen Schlaglichter auf die ohnehin schillernde Historie des Viertels, und der italienisch-französische Spielfilm I magliari nutzt St. Pauli als Kulisse für seine Milieustudie.

Fernsehpremiere hat zunächst Jochen Wolfs St. Pauli – Die große Freiheit. Unter Mitarbeit des Fotografen Günter Zint hat Wolf die Ursprünge des Quartiers aufgespürt, das lange vor den Stadtmauern und zwischen den Städten Hamburg und Altona lag, und verfolgt seine Aufs und Abs bis heute. Der Aufriss beginnt mit einer dramatisierenden Beschreibung der aktuellen sozialen Verhältnisse und beschwört einmal mehr den Explosivstoff, den ein hoher migrantischer Bevölkerungsanteil darstellt. Okay wäre das dann gewesen, wenn der Mythos vom gefährlichen St. Pauli anschließend hätte dekonstruiert werden sollen. Was Wolf aber offensichtlich nicht wollte. Die Beweisführung hängt nämlich – dem Wahrheitsgehalt des Mythos ensprechend – oft in der Luft. Einziger Zeuge für die Zunahme von Schusswaffengebrauch um die Reeperbahn herum beispielsweise ist ein Arzt. Er berichtet, über die Jahre seien zunächst mehr Schussverletzungen bei ihm behandelt worden, inzwischen kämen keine mehr. Daraus schließt er, heute seien die Schusswechsel halt meist tödlich.

Der drohenden Düsternis des selbst gezeichneten St.Pauli-Bildes versucht Wolf durch einen Conferencier zu begegnen, der gleichsam durch das Programm der Geschichte führt. Das für diese Figur typische „Mag es auch manchmal schlimm sein, es wird immer weiter gehen“ wirkt bisweilen reichlich gezwungen.

Interessanter dürfte der zweite Beitrag des Abends sein, I magliari von Francesco Rosi. Der deutsche Verleihtitel Auf St. Pauli ist der Teufel los sollte wohl auch Soft-Porno-Fans ins Kino locken. Tatsächlich handelt es sich um eine Sozialstudie des italienischen Realismus: Das Slangwort „magliari“ bezeichnet süditalienische Hausierer. Rosi gab 1959 seinem Protagonisten diesen Namen: dem Kleinkriminellen Mario, den es nach Hamburg verschlagen hat – und das zu einer Zeit, als das Wort Gastarbeiter noch gar nicht erfunden war.

Dem Starclub in der Großen Freiheit, der auch schon in Wolfs Film eine kurze Würdigung erfährt, widmet sich der letzte Teil des Abends, Bye Bye Star Club. Die Spurensuche von Axel Engstfeld versammelt einen Haufen unbekannter Film- und Musikdokumente. Denn neben TheBeatles hat das 1987 abgerissene Haus auch Chuck Berry, Tony Sheridan, The Liverbirds, The Searchers oder Jimi Hendrix eine Bühne gegeben.

Christiane Müller-Lobeck

heute, ab 20.45, Arte