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Der Absturz eines Mythos

Mehrere tausend Menschen wurden Zeuge, als die schöne Legende vom sichersten Flugzeug der Welt vor den Toren von Paris am Boden zerschellte

aus Gonesse DOROTHEA HAHN

Er galt als unverletzlich. Der Vogel mit dem beweglichen Schnabel. Bis Dienstagnachmittag, als die Concorde kurz hinter dem Ende der Startbahn in Gonesse abstürzte. Es war eine Katastrophe live. Eine mit tausenden von Augenzeugen. Passagiere der Flugzeuge in der Warteschlange konnten zugucken. „Schauen Sie sich den Start der Concorde an“, hatten ihnen ihre Piloten über Bordlautsprecher empfohlen. Auch das Flughafenpersonal konnte den Weg seiner Kollegen in den Tod verfolgen.

Feuerwehrmann Dominique war mit Frau und zwei Kindern im Auto auf dem Heimweg, als die Mauer aus schwarzem Rauch vor ihm in den Himmel stieg. „Ich dachte, die Industriezone von Gonesse sei in Flammen aufgegangen“, sagt er. Unmittelbar danach hallte die Landstraße von den Sirenen von Polizei, Feuerwehr- und Krankenwagen wider. „Alle waren hier seit langem auf eine Katastrophe vorbereitet“, weiß Dominique, „hier fliegen doch jede Minute zwei Flugzeuge über unsere Köpfe. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eines davon abstürzte.“

Stunden nach dem Unglück ist Dominique ohne Familie zum Katastrophenort zurückgekehrt. Er ist durch einen Eisenzaun geschlüpft und zu Fuß durch kniehohes Gras gestapft, bis er einen Blick auf die Trümmer des „Hôtelíssimo“ werfen kann, wo er noch vor wenigen Wochen bei einer Hochzeit getanzt hat. Der Regen in der Nacht zu Mittwoch hat das bis auf die Grundmauern zerstörte Hotel abgekühlt. Zwei Blackboxen sind aus den Trümmern geborgen worden. Jetzt legen Feuerwehrleute Überreste der Opfer in große Plastiktüten, die zum gerichtsmedizinischen Institut nach Paris gefahren werden, bevor sie in der Sporthalle von Gonesse aufgebahrt werden.

Viele Familien aus der Umgebung sind auch gestern noch zum Katastrophenort gepilgert, der weiträumig von CRS-Polizisten abgeriegelt war. Sie wollen sehen, was auf der Nationalstraße 17 übrig geblieben ist, wo Sonntagsmorgens kurz nach elf Uhr bei klarem Wetter die Schaulustigen ihre Köpfe in den Nacken heben, um der Concorde beim Starten zuzusehen.

In den Arbeitervorstädten unter den Flugschneisen von Roissy muss man das Gespräch unterbrechen, wenn die Concorde ganz knapp über die Häuserdächer fliegt. In den Schränken klirren die Gläser, und durch den Luftdruck ist in Gonesse schon mal das Wasser aus dem Gemeindeschwimmbad geschwappt. Fast alle in der Region haben Petitionen gegen den Fluglärm und den Ausbau von „Piste drei“ unterschrieben und an Demonstrationen dagegen teilgenommen. Doch ihre Bewunderung ist ungebrochen. „Die Concorde ist ein wunderschöner Vogel“, sagen die Schaulustigen am Katastrophenort und schwärmen davon, wie sich der „Schnabel“ des Ultraschallfliegers gen Boden dreht. In Gonesse, wo sich kaum jemand einen Concorde-Flug leisten kann, ist der benachbarte Flughafen der Hauptarbeitgeber.

Kinderarzt Fabien Mayuma war im hinteren Teil des sechsten Stocks des Krankenhauses von Gonesse, als die Concorde auf das Gebäude zuraste. 30 Sekunden lang glaubten seine Kollegen, die aus dem Fenster gen Roissy schauten, es sei vorbei. Dann brach die brennende Maschine nach unten weg. Mayumas erster Reflex danach war der Griff zum Telefon. „Ich wollte wissen, ob es auf unser Wohnhaus gestürzt war“, sagt er mit Blick auf Frau und Kinder. Überall in Gonesse klingelten am Dienstagabend die Telefone.

Zehn Sekunden später wäre die Concorde in dicht besiedelte Wohngebiete gerast. „Der Pilot war ein Held“, sagt am Tag danach ein Bewohner der Siedlung „La Fauconnière“. Er hält sich selbst für einen „Überlebenden“ und ist überzeugt, dass „der Pilot absichtlich das einzige brachliegende Feld weit und breit angesteuert hat – um die Katastrophe nicht noch schlimmer zu machen“.

An Bord der Concorde arbeiten die Aristokraten der Luftfahrt – das bestausgebildete und bestbezahlte Personal von Air France. Jedes einzelne Besatzungsmitglied hat über 10.000 Stunden Flugerfahrung. Der Pilot der Unglücksmaschine war Ausbilder für die Überschallflieger.

Nach seinem letzten Start hatte er knapp zwei Minuten Zeit, um die Katastrophe zu bewältigen. In dieser Zeit versuchte er offenbar eine Kehrtwendung.

Dan Mondet, Transportarbeiter auf dem Flughafen Roissy, hat aus den Werkstätten heraus hunderte von Concorde-Starts gehört. Der Start jener Concorde, die der deutsche Reiseunternehmer Deilmann am Dienstag gechartert hatte, war lauter als alle anderen. Dan Mondet konnte die 20 bis 30 Meter lange Feuerzunge sehen, die die Maschine schon beim Starten am linken Flügel hatte, und dass sie nur mühsam die Höhe von rund 100 Metern schaffte. „Diese Concorde klang wie eine ununterbrochene Bombe“, sagt er später.

Unter den Augenzeugen der Katastrophe war auch Air-France-Chef Jean-Cyril Spinetta. Er beschreibt mit zitternder Stimme das Feuer, das aus dem Triebwerk loderte. Er fügt hinzu, die Maschine habe nicht zu jenen gehört, bei denen die Techniker in den vergangenen Wochen mikroskopische Haarrisse an den Tragflächen festgestellt hatten, die sie für ungefährlich hielten. Am 21. Juli, so Spinetta, sie die Unglücks-Concorde zuletzt technisch überprüft worden – vier Tage vor der Katastrophe.

In den Minuten vor der Katastrophe allerdings hatte es ein unerwartetes Maschinenproblem an Bord gegeben. Jedenfalls verzögerte sich der Abflug der AF 4590 um mehrere Dutzend Minuten, weil Techniker im Auftrag der Piloten eines der zwei linken Triebwerke untersuchten. Eines dieser Triebwerke löste kurz darauf den Absturz aus.

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