: Der Sieg an sich hat gesiegt
HALBZEIT FÜR DEUTSCHLAND (1): Die Sozialdemokraten haben die normative Kraft des faktischen Geldes entdeckt und inszenieren sich medial unschlagbar als Sexy Partei
„Plup, und der Ball hat die Wippe genommen. Finanzminister Eichel kennt die schöne alte Weisheit: Wer Jieper hat, muss schmackofatzen. Wer richtig Lust aufs Minigolfen hat, der sollte es auch ungestört genießen. Plup, und der Ball ist drin.“ (Die „FAZ“ am 19. Juli zu einem Foto von Hans Eichel beim Minigolf)
Auch wer nie gehört hat von Jieper oder Schmackofatz, wird sich nicht wundern, dass ein Urlaubsfoto von Hans Eichel beim Minigolf auf Langeoog der FAZ ein paar heitere Zeilen wert ist. Der Mann ist ein Star. Ausgerechnet Eichel. Dessen Namen die wenigsten Hessen kannten, als er noch ihr Ministerpräsident war. Sein Gesicht: ein Nullsummenspiel aus Fred und Herbert Feuerstein. Seine Reden: Valium für die Ohren. Sein Stil: unsichtbar. Mehr noch als Schröders Topquoten symbolisiert der Aufstieg des Eichel zum Schmackofatz-Faktotum der Berliner Republik den Erfolg dieser Regierung. Als der Kanzler den grauen Hessen zu Lafontaines Erben ernannte, hielten das alle für eine Notlösung. Heute wissen wir, dass dieser Wechsel für die SPD so paradigmatisch wirkte wie der Balkankrieg für die Grünen: Befreiungsschlag, Emanzipation von der Basis, Quantensprung in Deregulierung, Jungbrunnen. Kaum in Berlin, startet Eichel ein Lafontaine-Sofortkontrastprogramm. Statt griesgrämig den altlinken Spielverderber zu simulieren, der dann doch nix verhindern kann, profiliert sich der Minister als Vollstrecker von Kapitalinteressen, ganz im Sinne des Autokanzlers. Der Exjournalist Klaus-Peter Schmidt-Deguelle schickt ihn in die Charm School. Seitdem trägt Eichel keine karierten Sakkos mehr, die Gesichtszüge verstrahlen notorisch Zuversicht, die Quoten steigen, und Schmidt-Deguelle gilt als genialischer Spin Doctor und diabolischer Image-Designer.
„Zwei Sportsmen, die sich teils glücklich, teils hämisch in den Armen liegen – Gerhard Schröder und Hans Eichel nach ihrem Sieg.“ Der allfällige Fußballvergleich steht in Michael Jägers Kommentar zur Steuerreform im Freitag, lapidarer Untertitel: „Der Neoliberalismus hat in Deutschland gesiegt.“ Wenige Stunden nach dem Sieg der Deutschen über Südafrika bei der WM-Bewerbung. Für diesen Sieg hatten Schröder und Schily mit den Siegertypen Becker, Netzer & Schiffer bei Beckenbauers Bewerbungsshow posiert; minutenlang zwangsoptimistisch lächeln und Daumendrücken. Ob das den Ausschlag pro Deutschland gab oder womöglich der Bestechungs-Fake der Titanic? Allemal: Kaiser & Kanzler.
Mit dem Neoliberalismus hat in Deutschland der Sieg an sich gesiegt.
Im Stile eines Tour-de-France-gedopten Klaus Angermann bejubeln Beobachter die gelungene Erpressung im Bundesrat von Schröder & Eichel. „Da geht’s de Mensche wie de Leut“, sagt der hessische Spießer, wenn „die da oben“ menschliche Schwäche zeigen, und ergötzt sich daran, wie die „Parteiloyalität“ hochrangiger CDU-Funktionäre von der normativen Kraft des faktischen Geldes pulverisiert wird. Wie alte Rollenklischees verkehrt werden: Ausgerechnet Sozialdemokraten, Zukurzgekommene by nature, schlagen Geld und Macht auf deren eigenem Terrain, mit deren Mitteln.
Wie Fischer bei den Grünen haben Schröder und Eichel mit diesem Triumph eine machiavellistische Siegerlogik durchgesetzt, die tradierte Parteilogik buchstäblich alt aussehen lässt. Sie haben begriffen, dass politische, gar ideologische Essentials dem Erfolg im permanenten medialen Wettbewerb nur im Wege stehen. Sie haben begriffen, dass der rapiden Entmachtung der Politik im Zeichen der ökonomischen Globalisierung nicht mit Analyse, Kritik und Verweigerung beizukommen ist. Deshalb inszenieren sie sich als Schrittmacher der Modernisierung und kassieren Applaus für ihren tabubrecherischen Gratismut – von den Mitgewinnern in den Boombranchen. Diesem Winner-Diskurs haben Schröder und Eichel zur medialen Hegemonie verholfen und ihn an die drei Buchstaben SPD gekoppelt – Sexy Partei Deutschlands. Ihre tatsächliche Politik haben sie derweil von sozialdemokratischer Substanz entkoppelt, „altlinke“ Stoffe entsorgt, sich befreit von den Fesseln der Geschäftsordnung und vom Mief der Ortsvereine. Unterdessen laufen an der Basis die Traditionsmilieus Amok: Der Spiegel entdeckt Nazi-affine SPD-Zirkel im Internet, die Agonie der Gewerkschaften findet man nicht mehr so tragisch, wenn man weiß, dass primär gewerkschaftlich organisierte Jugendliche die Parole „Arbeit zuerst für Deutsche“ unterschreiben.
Nur wer Distanz hält zu diesen Niederungen des provinziellen Alltags, kann ein Star sein im Staat der neuen SPD. Weil Schröder weiß, dass Schmutzreste aus Eberswalde, Guben oder Ludwigshafen am Public Image hängen bleiben, meidet er diese elenden Orte, ohne gleich das hässliche Wort „Beileidstourismus“ in den Mund zu nehmen, das einst Helmut Kohl erfand, um sich lästige Schmeißfliegen vom Leib zu halten, die ihn, den Kanzler, zum Symbolische-Gesten-Dienst nach Mölln und Hoyerswerda komplimentieren wollten.
Dass er die Klaviatur von Synergie & Symbolik inzwischen beherrscht, hat Schröder beim letzten Heimspiel der Saison demonstriert: Zum Siegergipfel mit dem Team Telekom nebst Lindenberg kamen 10.000 Event-Irre und hörten einen kontrolliert triumphierenden Kanzler sagen: „So wünschen wir uns das immer hier.“ Ort des Geschehens war die Krisen-Expo, aber die können sich Ullrich, Schröder & Zabel als Hausband – „immer hier“ – nicht leisten.
Nach dem Prinzip „Ich bin zwei Öltanks“ sendet die Firma SPD auf verschiedenen Kanälen verschiedene Programme:
– Erlebnispolitik mit Holzmann-Durchbruch, Concorde-Absturz, WM-Bewerbung und Telekom-Expo auf dem Sportkanal mit durchlaufenden Börsenkursen.
– Kirche und Soziales auf dem Kulturkanal. Modernisierungsverlierer und Deregulierungsopfer finden Trost bei Johannes und Oskar. Lafontaine darf den linken Bedenkenträger geben, wenn im Namen der SPD „von unten nach oben umverteilt“ wird, so wie Hirsch & Baum lebenslänglich gramgebeugt Gewissensnot mimten, wenn ihre FDP wieder einem Kontaktsperregesetz oder einer Asylrechtsverschärfung zugestimmt hatte. Wenn heute der ehemalige RAF-Anwalt und exgrüne Innenminister die Abschaffung des Asylrechts präpariert, meldet sich der gottesfürchtige Sozialdemokrat mit Ruhrpottflavour zum Mahnwort. Wohlwollend goutiert die sozialliberale Restzielgruppe, wenn der machtlose Bundespräsident sonntags Toleranz gegen Fremde predigt und davor warnt, „dass das Tempo der Veränderungen zu wachsender sozialer Ausgrenzung führt und damit zu einer neuen Form von Klassengesellschaft“. Diese spezielle Form der Gewaltenteilung haben Rau und Schröder von ihren christlichen Vorgängern übernommen: Kohl macht harte Politik, Weizsäcker spendet mildes Licht. Das „Tempo der Veränderungen“ diktieren andere. KLAUS WALTER
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