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Think Tank in der Nachbarschaft

In den USA treffen beim „Schattenparteitag“ neben der republikanischen Kandidatenkrönung viele Basisgruppen zusammen, die vor Jahren nicht miteinander geredet hätten. Sie prangern die Armut als „Schandfleck des Kapitalismus“ an

aus Philadelphia PETER TAUTFEST

„Während Conventions zu Empfängen verkommen sind, bei denen große Parteispender die Delegierten freihalten, sprechen wir hier für die 90 Prozent der Bevölkerung, die nicht spenden, die 70 Prozent Drogenabhängige, die keinen Therapieplatz finden, die 60 Prozent, die glauben, dass die Regierung sich eh nur um Sonderinteressen kümmert, die 50 Prozent, die nicht zur Wahl gehen, und die 20 Prozent Kinder, die in Armut leben.“ Während sich etwas außerhalb der Stadt Philadelphia allabendlich in einem großen Sportstadion 4.000 Delegierte, 15.000 Medienvertreter und noch mal an die 10.000 Gäste des republikanischen Parteitags zu einer Jubel-Show treffen, versammelt sich alltäglich in einem Vorlesungsraum der University of Pennsylvania der so genannte Schattenparteitag. Organisiert von Ariana Huffington, einer scharfzüngigen Kommentatorin, und veranstaltet von einer Koalition verschiedener Initiativen zur Bekämpfung von Armut und „Korruption der Politik durch Geld“, bringt er lokale Gruppen und Bürgerinitiativen zu einem mehrtägigen Politseminar zusammen.

Derweil wird in den Straßen Philadelphias jeden Tag für ein anderes Anliegen demonstriert: gegen Todesstrafe und Globalisierung, Drogenkrieg und Raketenabwehr, gegen Polizeigewalt und für höheren Mindestlohn. In der Stadt wurde ein Zeltlager für Obdachlose errichtet, das allerdings ständig umziehen muss, und vor der Unabhängigkeitshalle, in der 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten ausgerufen wurde, stehen 18.000 Paar Schuhe rund um die Freiheitsglocke – ein Paar für jeden Jugendlichen, der seit der letzten Präsidentenwahl durch Feuerwaffen umgekommen ist.

„Prosperity with a Purpose“ lautet einer der zentralen Slogans des republikanischen Parteitags, „Wohlstand mit einem Ziel“. „Was ist wohl das Ziel von Wohlstand?“, fragt rhetorisch Jim Wallis, Autor eines Buchs über die Rolle von Glaubensgemeinschaften bei der Armutsbekämpfung, seine Zuhörer auf dem Schattenparteitag. „Zu teilen, was sonst.“ „Armut und Obdachlosigkeit zu beenden, das wäre ein Wohlstandsziel“, ergänzt Chuck Collins von der Gruppe „United for a Fair Economy“. Der Parteitag der Republikaner hat die Glaubensgemeinschaften, die so genannten Faith Based Organisations (FBO), als Träger von Sozialpolitik entdeckt. „Das machen die nicht, weil eine PR-Firma eine Marketingstrategie entdeckt hat“, sagt Wallis, „FBOs machen seit Jahren Armutsbekämpfung. Seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre aber sind nicht mehr so viele Gruppen zusammengekommen wie heute. Die Armut im Lande hat Leute zusammengebracht, die vor ein paar Jahren nicht einmal miteinander geredet hätten.“

Armut hat es in den USA immer gegeben. Als Jesse Jackson – auch ein Redner auf den Shadow Conventions – in den 80er-Jahren im Rahmen seines damaligen Präsidentschaftswahlkampfs nach Camden kam, Philadelphias Schwesterstadt am anderen Ufer des Delaware, schickte ihm sein Voraus-Team einen warnenden Report: „Die Stadt sieht aus wie Dresden“, stand darin. Fast 20 Jahre später aber und in einer Zeit beispielloser Prosperität sieht Camden heute wie Free Town in Sierra Leone aus. Bäume und Sträucher wuchern aus den Ruinen verlassener Häuser und wachsen aus Bürgersteigen und den aufgebrochenen Straßen einer Stadt, die ehemals „alles vom Federhalter zum Schlachtschiff“ herstellte. „Armut ist zum Schandfleck des Kapitalismus geworden“, sagt Gary McDougall, ein republikanischer Sozialpolitiker, der vom Parteitag zum Schattenparteitag herübergekommen ist, „das kann die Republikaner nicht kalt lassen.“

„Wann habt ihr das letzte Mal einen Think Tank in eurer Nachbarschaft gesehen?“, fragt Tyletha Samuels von der Organisation „Community Voices Heard“, „die Armen selbst wissen doch am besten, was sie zur Artmutsbekämpfung brauchen.“ Der Applaus ist aus einer Ecke des Saals besonders heftig. Die Armen selbst sind zum Schattenparteitag gekommen. Zum regulären Parteitag vorzudringen, daran hinderte sie die Polizei, die sie allerdings entgegen ihrer ursprünglichen Absicht ungestört bis vor die Tore des Stadions marschieren ließ.

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