: Die Zwitscherwitwe
von RALF SOTSCHECK
Sie ist ziemlich angeknittert, aber wie eine Hundertjährige sieht sie nicht aus. Elizabeth Angela Marguerite Bowes-Lyon, besser bekannt als „Queen Mum“, hat heute Geburtstag. Gefeiert wurde bereits ausgiebig, denn man kann ja nie wissen: „Ich finde, es wäre wirklich sehr, sehr komisch, wenn die Queen Mother vor ihrem Geburtstag sterben würde“, schrieb die Kolumnistin Fiona Looney. Die Geburtstagsparade für das Volk fand deshalb vorsichtshalber schon vor zwei Wochen statt.
Abscheu vor dem Pöbel
In Zeiten, in denen nicht einmal die Hälfte der Briten mit der Monarchie etwas im Sinn hat, ist die Mutter der britischen Königin Elizabeth II. das beliebteste Mitglied ihres Clans. Sie ist die Großmutter der Nation, ihr strahlendes Lächeln und ihr gönnerhaftes Winken kommen quer durch alle Altersgruppen und Klassen an, obwohl ihr doch der Pöbel immer zuwider war.
Sie hat zeitlebens an ihrem Image gefeilt. Als „Spin Doctor“ in eigener Sache ist sie so erfolgreich, wie es Premierminister Tony Blair gerne wäre. Doch die freundliche Fassade täuscht. „Der Honig ist mit Arsen versetzt“, beschrieb einer ihrer Biografen Elizabeth einmal. Ihre politischen Ansichten, die von offiziellen Biographen als „altmodisch“ schöngeredet werden, sind in Wirklichkeit reaktionär: Queen Mum verabscheut dunkelhäutige Immigranten, Liberale und Homosexuelle, sie ist gegen Europa und die Währungsunion. Ihre Lieblingspolitikerin ist Margaret Thatcher. Die Königinmutter sei „so weit rechts, wie man nur gehen kann“, sagte ihr früherer Privatsekretär. Für Deutschland hat sie nichts übrig, seit ihr Bruder Fergus im Ersten Weltkrieg in der Schlacht bei Loos 1915 ums Leben kam. Nach dem Krieg verbot sie ihren Bediensteten, sich vor den „Hunnen“, wie sie die Deutschen fortan nannte, zu verbeugen.
Queen Elizabeth The Queen Mother, wie der offizielle Titel lautet, den sie sich nach dem Tod ihres Mannes 1952 selbst verliehen hat, kam am 4. August 1900 als neuntes von zehn Kindern auf die Welt. Damals war die Welt der britischen Monarchie noch in Ordnung: Königin Victoria regierte, das britische Weltreich stand in seinem Zenit, in Südafrika kämpfte man den letzten großen Kolonialkrieg.
Ungebildet, aber „lieblich“
Wo sie geboren ist, weiß niemand, denn ihr Vater hatte die Geburt nicht registrieren lassen. Als Tochter des schottischen Grafen von Strathmore erhielt Elizabeth nur eine sporadische Ausbildung von ihren Kindermädchen, wie es damals üblich war. Aufgrund ihrer Herkunft hatte sie Zugang zum Hof. Sie und ihre älteren Schwestern freundeten sich mit den Kindern von König George V. und Königin Mary an.
An ihrem 14. Geburtstag brach der Erste Weltkrieg aus. Eigentlich wollte sie sich als Krankenschwester nützlich machen. Dazu war sie zu jung, durfte aber Rekonvaleszenten auf dem Familiensitz Glamis Castle pflegen. Nach dem Krieg erregte sie in den aristokratischen Kreisen Londons Aufsehen, weil sie selbstsicher auftrat und recht attraktiv war. „Sie ist sanfter, lieblicher und erhabener als irgendeine andere Frau auf Erden“, schrieb der US-Amerikaner Chips Channon, der ebenfalls in diesen Kreisen verkehrte.
Um so überraschter war man, als sie ihre Verlobung mit Prinz Albert, dem Herzog von York, bekannt gab. Der furchtbar schüchterne und stotternde jüngere Bruder des Thronfolgers hatte bereits zweimal um ihre Hand angehalten, doch sie hatte ein Auge auf einen James Stuart geworfen. Queen Mary, Alberts Mutter, schickte den Rivalen kurzerhand auf die britischen Ölfelder in Oklahoma, und als Albert, den alle „Bertie“ nannten, zum dritten Mal bei Elizabeths nachfragte, willigte sie ein. Am 26. April 1923 wurde geheiratet.
Kurz darauf gab sie einer englischen Tageszeitung ein Interview – es war das erste und letzte Mal. „Sie hat in ihrem ganzen Leben keinen einzigen intellektuellen Satz von sich gegeben“, sagt ihr Biograf Ben Pimlott, und auch das Interview war im Grunde nichts sagend. Doch der Reporter hatte sie respektlos gefragt, warum Albert dreimal um ihre Hand anhalten musste. Sie leugnete und beschloss, ihre Öffentlichkeitsarbeit selbst in die Hand zu nehmen. Das machte sie so geschickt, dass sie schon bald zum Mythos wurde.
Queen Mums PR-Maschine
1927 erschien die erste autorisierte Biografie, die sich wie ein romantisches Märchen liest. „Am Ende des Gartens, wo die Sonne immer schien, liegt das Wäldchen, der Schlupfwinkel der Feen“, heißt es darin über ihren Familiensitz. Dort habe Albert ihr den Heiratsantrag gemacht. Drei Jahre nach der Eheschließung kam Tochter Elizabeth per Kaiserschnitt auf die Welt, vier Jahre später Margaret Rose – und Queen Mums PR-Maschine lief auf Hochtouren. „Einmal war Lisbet ungezogen, denn selbst Prinzessinnen können ungezogen sein“, schrieb ein Hofberichterstatter damals. „Um sie zu bestrafen, verweigerte ihr die Mutter die Gutenachtgeschichte.“ Auf die Frage nach ihrem Lebensziel antwortete die Königinmutter: „Die Erziehung meiner Töchter.“ In Wahrheit blieb das den Kindermädchen überlassen.
Elizabeth hatte ihre Pflicht getan und zwei Kinder geboren, und das hätte eigentlich das letzte bemerkenswerte Ereignis eines banalen Lebens sein können, wenn sich nicht ihr Schwager, König Edward VII., in die geschiedene US-Amerikanerin Wallis Simpson verguckt hätte, weshalb er zur Abdankung gezwungen wurde. Elisabeth hat dem bürgerlichen Eindringling nie verziehen, dass der nervenschwache Bertie, den sie gerade mal zu einem akzeptablen Mitglied der aristokratischen Gesellschaft gemacht hat, plötzlich als George VI. auf den Thron musste – eine Aufgabe, die ihn völlig überforderte. Elizabeth verfolgte die Simpson mit ihrem Hass bis zu deren Tod im Jahr 1986.
Das „Ersatzkönigspaar“ war zunächst nicht sonderlich beliebt, die Briten hingen an Edward. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, und Elizabeth strickte weiter an ihrer Legende. 1939 reiste sie mit ihrem Mann, dem König, in die USA, wo sie von der Presse zur „Frau des Jahres“ gewählt wurde. Eine Zeitung bezeichnete sie als „Königin der Herzen“, ein Titel, der gut 50 Jahre später auf ihre Schwiegerenkelin Diana überging. In England dauerte es noch eine Weile, bis das Volk das Königspaar akzeptierte. Bei Stippvisiten in zerbombten Häusern wurden Bertie-George und Elizabeth mitunter ausgebuht. Erst als eine deutsche Bombe auf den Buckingham-Palast fiel, schwenkte das Volk um. „Jetzt können wir dem East End in die Augen schauen“, sagte Queen Mum.
Der Eindruck, dass das Königspaar während des Krieges beim Volk blieb und sich mit den gleichen Rationen ernährte, war ihre größte PR-Leistung. Tatsächlich verschwanden George und Elizabeth abends stets auf das relativ sichere Windsor Castle, und die kargen Mahlzeiten wurden durch Fasane und anderes Getier von den königlichen Besitztümern ergänzt. Ein englischer Historiker sagte, Elizabeth sei eine weitaus bessere Propagandachefin gewesen als Joseph Goebbels. Der hatte Hitler nie zu ausgebombten Häusern geschickt.
1952, nach dem Tod ihres Mannes, musste Elizabeth die Krone gegen eine Sammlung extravaganter Hüte eintauschen. Ihren Auszug aus dem Buckingham-Palast verzögerte sie so lange, bis man ihr eine angemessene Behausung in der Nähe besorgte, damit sie die Geschäfte ihrer Tochter im Auge behalten konnte. Sie mag Chiffon-Kleider in blassen Farben, sie trinkt Gin und trockene Martinis, und zwar in einem Ausmaß, dass sie als Aushängeschild für die Schnapsindustrie gilt. Sie besitzt zwei Corgies, Minnie und Rush, sowie mehrere Rennpferde. Seit ihre Augen schlecht geworden sind, liest sie nur noch den „Racing Standard“, das Blatt für Wettfreunde. Sie kann mühelos ein Dutzend Wettquoten aufsagen.
Ihr extravaganter Lebensstil, der ihr nach eigenem Dafürhalten zusteht, kostet viel Geld. Ihre Tochter, Königin Elizabeth, vor der sie laut Protokoll eigentlich einen Hofknicks machen müsste, steckt ihr jedes Jahr rund vier Millionen Pfund zu, und die Nation amüsiert sich über die Queen Mum, die nicht mit Geld umgehen kann.
Den Schwager weggesperrt
Doch eigentlich weiß man nicht viel von ihr, man erfährt nur das, was sie preisgibt. Damit das auch nach ihrem Tod so bleibt, hat ihre Tochter Margaret vor zwei Jahren den privaten Briefwechsel entrümpelt. Die Königinmutter hatte ihre Post in Aktenkoffer und Schubladen in ihrem Wohnzimmer gestopft. „Nun schau mal, was für eine Unordnung du hier angerichtet hast“, soll Margaret gesagt haben, bevor sie die Briefe in Plastiksäcken einsammelte und verbrannte.
Doch die Queen Mum ist für ihr Alter erstaunlich rüstig, und das ist ihr Glück, denn körperliche oder geistige Schwäche wird bei den Windsors nicht geduldet. Prinz John, ihr 1905 geborener Schwager, hatte mit vier Jahren seinen ersten epileptischen Anfall. Fortan durfte er nicht mehr auf die offiziellen Fotos, bei der Krönungsfeier seines Vaters musste er zu Hause bleiben, und mit zwölf Jahren wurde er in einem Haus am Rande des Sandringham-Schlosses, bewacht von zwei Wärtern, eingesperrt. Seine Eltern sah er bis zu seinem Tod 1919 nicht mehr wieder.
Zwei Nichten der Queen Mother, Katherine und Nerissa Bowes-Lyon, waren 46 Jahre in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt eingekerkert. Ihre Familie hatte die beiden für tot erklärt. Und die heutigen Windsors halten es genauso: Prinzessin Alice, die 99-jährige Tante der Königin, ist seit fünf Jahren im Kensington-Palast weggeschlossen – dem „Tantenbunker“, wie Edward VII. das Haus nannte –, weil sie unter Altersdemenz leidet. Niemand spricht mehr von ihr, Besuch von der Verwandtschaft bekommt sie nicht.
Die überfällige Modernisierung oder gar Abschaffung der Monarchie wird nicht stattfinden, bevor Königin Elizabeth Die Königinmutter zur nie versiegenden Gin-Quelle im Himmel abberufen wird. Wenn die Windsors schlau sind, verheimlichen sie ihren Tod, lassen sie ausstopfen und schieben sie ab und zu auf den Balkon ihrer Residenz Clarence House, damit ihr das Volk zujubeln kann. Eine bessere Versicherung gegen lästige Reformen gibt es nicht.
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