: Bloß weg hier
■ Hamburg und Auswanderung: Ein historischer Roman von Gerd Fuchs
Es ist ein Roman über Hamburg. Und er beginnt in Osteuropa. Vor allem dort nämlich trieben sich Ende des 19. Jahrhunderts Agenten der HAPAG herum, um für eine Auslastung der Schiffe zu sorgen, die die Hansestadt Richtung Amerika verließen. Es waren die Pogrome auf dem Gebiet des heutigen Polen, die der HAPAG die Kassen füllten. Wer noch konnte, verkaufte für einen Spottpreis sein Haus an die Hamburger Reederei und machte sich nach Westen auf. Viele der vertriebenen Juden blieben in Deutschland, aber bekanntlich waren sie auch dort nicht gern gesehen.
Gerd Fuchs' Die Auswanderer Von Hamburg in die Neue Welt fächert die Geschichten einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Ausreisekandidaten zur Zeit der Cholera in Hamburg auf, im Jahr 1892. Es ist ein historischer Roman und einer, der sich sprachlich um eine Nähe zur Zeit bemüht. Das gelingt nicht immer, für Lacher sorgen hin und wieder neuere Vokabeln, die sich da in die an Fontane geschulte Schriftsprache des Realismus eingeschlichen haben, „Fundamentalismus“ beispielsweise. Wer aber nicht meint, Geschichte lasse sich am besten über Dokumente ermitteln, die von ihren Siegern aufgezeichnet wurden, findet hier eine trotzdem eine Menge.
Die Geschäftspraktiken der HAPAG und der Bremer Lloyd werden von Fuchs herunterdekliniert auf ihre widersprüchlichen Auswirkungen für seine Protago-nisten. So endet der Weg der jüdischen Familie Kantor nach Hamburg an der Grenzstation Eydtkuhnen. Die preußische Regierung hatte die jüdischen Einwanderer aus dem Osten für an der Cholera schuldig befunden und kurzerhand die Grenze geschlossen. Erst auf Intervention der beiden großen norddeutschen Reedereien, die sich erboten, auf eigene Kosten Gesundheitscheckpoints in den Grenzorten zu betreiben, ließ man die Zufluchtsuchenden passieren. Gedroht hatten HAPAG und Lloyd mit dem Ausfall großer Summen von Steuergeldern. Wie es sich im Jahr der Cholera-Epidemie in Hamburg lebte, wer ihr zum Opfer fiel und warum, beleuchtet der Roman an den Figuren eines Arztes, einer Krankenschwester und eines Werftarbeitersohnes, die alle aus unterschiedlichen Gründen mit dem Gedanken spielen, ein Schiff nach Amerika zu nehmen.
Der Roman ist Teil eines Ausstellungsprogramms der Hamburger Studienfahrten. Noch diesen und den nächsten Sonntag lassen sich im Rahmen eines Emigration Trail prägnante Orte der Auswanderung aus Hamburg zu Fuß und mit der Barkasse besichtigen. Der Rundgang umfasst auch die noch bis September andauernde Sonderausstellung zum Thema im Zollmuseum.
Christiane Müller-Lobeck
Gerd Fuchs: Die Auswanderer, Petersen Verlag 2000; Anmeldung zum Emigration Trail unter Tel. 040 / 37 87 91 90
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