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Blumenhaus mit Perlgras

Das Jazzbüro präsentiert heute und morgen hiesige und auswärtige Gewächse in Planten un Blomen  ■ Von Andreas Stuhlmann

Wer bei Jazz in Hamburg nur an das weiße Zelt auf dem Deichtorplatz denkt, ist schwer auf dem Holzweg. Denn wo es den Initiatoren des Jazzports von Jahr zu Jahr schwerer fällt, ihr buntes Allerlei noch mit dem hippen Mäntelchen des Jazz zu behängen, schöpft das Jazzbüro Hamburg e.V. beim jährlichen Open Air auf der Freilichtbühne in Planten un Blomen aus dem Vollen.

Zum sechsten Mal findet das kleine Festival bereits statt, und das Jazzbüro ist klug genug, Jazz in Hamburg zu präsentieren statt nur Jazz aus Hamburg. Die Hamburger Szene ist und bleibt recht übersichtlich, es gibt noch immer zu wenig Auftrittsmöglichkeiten und eine zu kleine Gemeinde eingeschworener Jazzfans in der Stadt. Die erstklassigen Musiker aus Hamburg stehen nicht nur deshalb, sondern auch, weil Jazz nicht gerade ein regionales Phänomen ist, ständig mit Berlin, New York oder Los Angeles im Austausch, und die Heimkehrer bereichern dieses Festival. Allen Kritikern, die behaupten, bei einem solchen Event spielten ja doch immer nur die ewig gleichen Menschen, sei deshalb ein selbstkritischer Blick ins Programm empfohlen.

Zwischen 14 Uhr am heutigen Samstag bis 22 Uhr am morgigen Sonntag spielen insgesamt 13 Bands, mit einem breiten Spektrum an Stilen und Besetzungen, alles auf hohem und höchstem Niveau. So dekonstruiert der Sänger und Drummer Davis Moss mit Gitarrist Michael Rodach heute ab 16.40 Uhr auf kühne Weise den Blues, und Britt A. Flechsenhaar ziseliert aus häufig gedudelten Billie-Holliday-Standards feinste Sound-Filigrane heraus.

Hamburgs Schlagzeug-König Heinrich Köbberling greift gleich für zwei Formationen zu den Stö-cken: zum einen für das Günther-Adler-Quartett, das am Sonntag zur selben Zeit einmal mehr ohne Günther Adler auftritt, dafür aber mit dem schon fast berühmten Bassklarinettisten Rudi Mahall, Daniel Erdmann am Saxophon und Johannes Fink am Bass. Zum anderen agiert er in der Rhythmusgruppe des Gabriel-Coburger-Quintetts, das heute um 15.20 Uhr mit den zwei Bläsern Coburger und Frank Delle, Sven Kerschek an der Gitarre und Andreas Henze am Bass feineren Avantgarde–Jazz mit New Yorker Einflüssen serviert.

Das Nickende Perlgras wiederum ist kein einheimisches Gewächs, sondern gedeiht eigentlich in Berlin. Es handelt sich um ein Trio mit zwei Bläsern und Schlagzeug, das Jazz mit Hardcore mischt und auch vor Kammermusik und Geräuschimprovisation nicht Halt macht. Michael Thiecke an Klarinette und Saxophon, der Trompeter Michael Anderson und Drummer Eric Schafer kennen kein Pardon, wenn sie morgen zur selben Zeit ihrem Publikum eins auf die Ohren geben, aber einmal verdaut, macht dieses Perlgras Melica süchtig.

Das Blumenhaus hingegen ist eine Hamburger Institution, in der House und Soul wild neben Free Jazz und Jazzrock blühen. Die Tour durch die tropische Schwüle dieses schrillen Soundteppichs beginnt heute um 18 Uhr. Direkt auf die Beine zielen die Instrumentonauten aus der Groove Galaxi. Ihr kühles Feuer hat ihnen vor allem als bisher erster Hamburger Kapelle einen Platz auf einem der elitären Mojo-Sampler eingebracht, auf die nur die coolsten Groover und sü-ßesten Verführer des Dance-Floor-Jazz gelangen. Ab 20.40 Uhr darf und muss der Körper in Schwingung versetzt werden.

Auch Jazz in Hamburg kommt nicht ohne einen Kuba-Tribute aus. Doch statt alter Herren in Strohhüten und Volksmusik präsentiert die italienische Sängerin Mariella Damiani mit ihrer heimlichen Allstar-Band um 19.20 Uhr eine abgekochte Expedition in ein Reich aus karibischen, afrikanischen und orientalischen Grooves und Klängen.

Zum ersten Mal hat das Festival auch eine internationale Partnerschaft, in diesem Jahr mit Dänemark. Zwei dänische Bands eröffnen bzw. beschließen das Festival. Heute um 14 Uhr heizt zunächst das Michael Bladt Quintet den Besuchern ein, und morgen versetzt Katrine Madsen mit rauchig-bluesiger Stimme und kunstvollen Ballladen das Publikum in eine letzte Trance zum Abschied, bevor das Festival im nächsten Jahr zurücckommt.

P.S.: Wem die Nacht auf Sonntag zu lang wird, dem sei herzlichst das Chillout im neuen Domizil des Jazzbüro e.V. im Atrium des Studio-Kinos in der Bernstorffstraße empfohlen. Unter dem Titel No depen-dance gibt es ab 22.30 Uhr einen stilvollen und genüsslichen Ausklang des Samstags mit einer Band um Sängerin Anna Depenbusch, den Bassisten Henry Altman und Groove Galaxi-Drummer Sönke Düwer. Gabi Benedix vom Jazzbüro schwärmt von der neuen Koexistenz und Kooperation mit dem Atrium und verweist heute schon auf die im September beginnenden Jazz-Brunches an jedem ersten Sonntag im Monat. Mit so einem Brunch in Magen und Ohren lassen sich auch Herbst und Winter überstehen und die Vorfreude auf das Festival 2001 kräftig nähren.

Im Bild: Michael Bladt vom gleichnamigen Quintett, es fehlen: seine vier Mitmusiker

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