: Rote Karte für Nationalisten
Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien verhindert Gesetz über die Präsidentennachfolge
BERLIN taz ■ Wolfgang Petritsch hat wieder zugeschlagen: In der vergangenen Woche legte der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien Herzegowina (OHR) sein Veto gegen einen Gesetzentwurf ein. Mit diesem wollte das Parlament in Sarajevo die Nachfolge von Mitgliedern der Präsidentschaft regeln, die vor Ende ihres Mandats aus dem Amt scheiden. „Wäre der bosnische Entwurf Gesetz geworden, hätte auf lange Zeit hin eine kleine Gruppe von Parlamentariern immer ihren Kandidaten durchsetzen können“, hieß es zur Begründung aus dem Büro des OHR in Sarajevo.
Die Gesetzesvorlage, die das bosnische Parlament am 31. Juli abgesegnet hatte, sah vor, dass im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens eines Mitglieds des dreiköpfigen Staatspräsidiums des Landes ein Mitglied der zweiten Kammer des Parlaments zum Staatsoberhaupt gewählt werden muss. Diese Kammer, das „Oberhaus“, wird seit dem Friedensvertrag von Dayton 1996 indirekt von den Abgeordneten der Parlamente der beiden Teile Bosniens, der kroatisch-muslimischen Föderation und der Serbischen Republik, gewählt. In beiden Landesteilen haben die nationalistischen Parteien das Sagen.
Dem direkt von der bosnischen Bevölkerung gewählten Parlament sollte nur ein Vorschlagsrecht zukommen. Zudem sollte ein ständiger Nachfolger des ausscheidenden Präsidiumsmitgliedes in dem Fall, dass der Rücktritt mehr als 30 Tage vor Neuwahlen stattfindet, für eine ganze Legislaturperiode im Amt bleiben – also so, wie seine direkt gewählten Kollegen. Das Präsidium ist die höchste Autorität Bosniens. Es besteht aus einem Kroaten, einem Muslim und einem Serben, deren Befugnisse mit denen des französischen Präsidenten vergleichbar sind.
Hintergrund des Vorstoßes: Den nationalistischen Parteien in Bosnien-Herzegowina schwimmen seit 1995 die Felle davon. Zwar hatten die Kroatische Demokratische Gemeinschaft HDZ, die muslimische Partei der demokratischen Aktion (SDA) und die Serbische demokratische Partei SDS 1996 die ersten Wahlen nach vier Jahren Krieg grandios gewonnen. Seitdem geht es bergab – obwohl die Nationalisten in ihren jeweiligen Gebieten die meisten öffentlichen Körperschaften und großen Medien kontrollieren.
Einen Zusammenhang zwischen der Entscheidung und der Ankündigung des muslimischen Präsidentschaftsmitglieds Alija Izetbegović, bei den für November geplanten Wahlen nicht mehr anzutreten, wollte OHR-Stellvertreter Ralph Johnson nicht sehen. Tatsächlich jedoch hätte ein Rückzug des 75-jährigen SDA-Gründers und Kriegspräsidenten vor Ende seines Mandats gemäß dem bosnischen Vorschlag dazu geführt, dass das derzeitige, von HDZ, SDA und DSS dominierte Oberhaus einen Nachfolger hätte bestimmen und damit die Wahlen zum Staatsoberhaupt überflüssig machen können.
Die nun vom OHR-Büro herausgegebene Version des Gesetzes sieht vor, dass Ober- und Unterhaus einen Nachfolger bestimmen müssen, wenn ein Präsidiumsmitglied mehr als 120 Tage vor einer Neuwahl ausfällt. Die Wahl soll für den Rest der vorgesehenen Zeit im Amt gelten. Sollte ein Präsidiumsmitglied weniger als 120 Tag vor Wahlen ausfallen, kann nach dem bosnischen Vorschlag verfahren werden – wobei der Nachfolger nur bis zu Neuwahlen im Amt bleibt. RÜDIGER ROSSIG
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