: Klöden streut Körner
Von der Regio-Tour zu den ganz großen Radrundfahrten: Andreas Klöden fühlt sich wohl beim Team Telekom, will vorerst noch von Jan Ullrich lernen, ihn aber irgendwann auch überholen
aus Guebwiller SVEN RECKER
Am Ende der Straße steht ein Gendarm, als wäre er bereit zum Duell. High Noon in Niffer. Die Kirchturmglocke des Elsass-Dorfes schlägt, der Asphalt flimmert, irgendwo brüllt ein Kind. Dann ist es wieder totenstill. Bis plötzlich, wie aus dem Nichts, die Werbekarawane der Regio-Tour um die Kurve biegt und lärmt. Die einzigen Abnehmer der verteilten Bonbons: zwei Schweizer Senioren im Radlerdress. „Fritz, wir sin die erschte gsi.“ Wahrscheinlich auch die ersten, die heute Côte du Rhône trinken. Als kurz darauf die Fahrer um die Ecke biegen, stoßen sie an.
Noch rollt das Peloton zu Beginn der zweiten Etappe der 16. Regio-Tour von Basel nach Müllheim gemütlich. Andreas Klöden ist das gerade recht. Einrollen will er sich hier im Dreiländereck Schweiz, Frankreich, Deutschland. Für die Vuelta und für Olympia. Dort in Form kommen, wo vor einem Jahr alles so richtig begann. Damals, als er zum ersten Mal nicht mehr nur der junge Fahrer war, der „immer gleich die Körner auf die Straße hauen wollte“ (Klöden über Klöden), sondern Kapitän von Telekom. Sein Vorjahresergebnis bei der Regio-Tour: Fünfter. Dann bei der Vuelta stärkster Domestik an der Seite von Ullrich. Schließlich im Frühjahr, „nach einem Winter, in dem ich alles gemacht hab’, nur keinen Stress“, die vorläufigen Höhepunkte seiner Karriere: Sieg bei Paris–Nizza, Sieg bei der Baskenlandrundfahrt. Mittlerweile hat der 25-Jährige aufgehört „über mich zu staunen“.
Ganz im Gegensatz zu den älteren Damen auf Kur, die abends im Mannschaftshotel in Badenweiler ihr Abendmahl mit den Telekom-Rationen vergleichen. „Das sind vielleicht gute Esser“, sagen sie. Gefressen hat Klöden in den vergangenen 14 Jahren aber vor allem eines – Kilometer. Früher in Forst nahe der polnischen Grenze und seit er 13 ist auf der Jugendsportschule des SC Dynamo in Berlin. Dann in der Bundesliga und zwischendurch immer wieder an der Stoßstange des roten Jeeps seiner Mutter, die das Windschatten spendende Gefährt mit Tempo 60 km/h an der polnischen Grenze entlang kutschierte. Jetzt hat Klöden eine Freundin. Klar, dass auch die ran muss als motorisierter Sparringspartner. „Sie stellt den Tempomat ein und fährt zwei Stunden vorneweg, das Auto hat Radio, das kriegt sie schon rum.“
Nicht nur auf der Straße scheinen die beiden ein gutes Paar. Die Freundin ist der Grund, warum es ihn zurückgezogen hat in die Nähe der Heimat, nach Cottbus. Der Wohnort davor: Merdingen. Bereits zum zweiten Mal in seiner Karriere wohnte er dort Tür an Tür mit Ullrich. Das erste Mal war auf der Sportschule, wo „der Jan zehn Zimmer weiter geschlafen hat“. Auch die L’Equipe entdeckte die Wahlverwandschaft, titelte nach Paris–Nizza „Klöden, frère d’Ullrich“ und schrieb vom „Ullrich-Klon“.
Warum die Eloge berechtigt ist und weshalb er neben Ullrich für das olympische Zeitfahren nominiert ist, demonstriert er beim Bergzeitfahren der Regio-Tour. Vorbei an der Schwarzwaldklinik das Glottertal hinauf tritt Klöden „alte Schule“ und „immer an der Schwelle“. Aus dem Sattel gehen wie bei Ullrich? Fehlanzeige. Oben angekommen, ist er vom 21. auf den 3. Platz vorgefahren, „obwohl es vom Gefühl her gar nicht so gut war“. Auf „gerade mal so 80 Prozent“ schätzt er sein augenblickliches Leistungsvermögen. Wie das gesamte Team Telekom ist er, von einem bei der Dänemark-Rundfahrt eingefangenem Infekt, leicht geschwächt. Die Regio-Tour dominieren andere wie der Spitzenreiter Filippo Simeone und sein Team Amica Chips. Die vierte Etappe von Badenweiler nach Guebwiller am Samstag hat auch ein Italiener gewonnen: Zanotti.
Den beiden Weintrinkern ist das egal. Sie machen ein Schwätzchen am Mannschaftswagen und berichten, wie der „Jan jeden morgen um Punkt zehn in den Sattel steigt“, in Merdingen. In knapp drei Wochen wird Klöden wieder an seiner Seite sein. Oder andersrum. Noch ist die Kapitänsrolle für die Vuelta offen. „Es ist immer gut, zwei Eisen im Feuer zu haben“, sagt der Sportliche Leiter bei der Regio-Tour, Mario Kummer, und Walter Godefroot nickt.
Um zwei Jahre, mit der Option auf ein weiteres, hat er den Vertrag mit Klöden verlängert. Angebote von anderen Teams waren da, doch der 62 Kilogramm leichte Fahrer fühlt sich wohl bei Telekom: „Die sprechen meine Sprache, ich hab’ den Jan hier, und von dem will ich lernen, wie er damals von Bjarne.“ Am liebsten natürlich bei der Tour de France. Immerhin: „Vom Kopf her ist das alles schon so geplant.“
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