: Pastorale Experimente im Gen-Labor
Fünfzehn kritische PfarrerInnen wagten sich ins Gentechnik-Labor. Der Dialog mit Wissenschaftlern endete versöhnlich
KASSEL taz ■ Raum 1313, genug Grund zum Aberglauben. Aber da ist nur Glauben versammelt auf der einen und Anspruch auf einigermaßen exaktes Wissen auf der anderen Seite. Nichts ist, wie es scheint. Weiße Kittel statt schwarzer Ornate, und evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen spucken auf Kommando in kleine Plastikröhrchen.
Welten seien aufeinandergeprallt, hieß es zum Beginn des fünftägigen Seminars „Gen-Ethik“ in der Gesamthochschule Kassel, zu dem sich fünfzehn hessische Geistliche im Rahmen eines Pfarrerfortbildungsprogramms angemeldet hatten. Am Ende sind Geistlichkeit und Wissenschaft eineinder näher gekommen. „Wenn alle so wären wie Professor Nellen“, sagt der Landpfarrer Jost Häfner, eigentlich erklärter Gegner der Gentechnologie, „dann wäre mir nicht mehr so bange.“ Molekularbiologe Wolfgang Nellen, der Leiter des Seminars, ist einerseits spindeldürrer Eulenspiegel, Charmeur und begabter Selbstdarsteller, andererseits ein präziser Wissenschaftler. Einer, dessen Rede klar ist, der nicht herumredet. Er sagt: „Dies ist wissenschaftlich erwiesen.“ Aber auch: „Ich weiß es einfach nicht.“ Für Glauben ist dazwischen kein Platz.
Pfarrer Häfner war an dem Seminar interessiert, weil er sich seit längerem mit der Gentechnik beschäftigt. Er betreut die oberhessische Gemeinde Frankenberg und einige der umliegenden Orte. Trotz der Vorbehalte des örtlichen Kirchenvorstandes setzt er sich für die Kampagne „Genfreie Äcker“ ein, kennt aber auch die wirtschaftlichen Probleme der Bauern: „Die greifen nach jeden Strohhalm, wenn er nur mehr Ertrag verspricht.“ Da ist schwer predigen gegen den Eingriff in die Schöpfung, gegen Missbrauch und Manipulation von Mensch und Natur.
Am vorletzten Tag des Seminars schüttelt die Technische Assistentin Sonja Apel eine Entwicklerschale. Die auf Gel aufgebrachte Pastorenspucke ist per Agarosegelelektrophorese zum einfachen genetischen, richtiger genomischen, Fingerabdruck aufgewertet worden, sichtbar gemacht als braune Bahnen auf gelbem Grund. Ein paar der Pfarrer gucken eher skeptisch, als Apel unter einer Abzugshaube Flüssigkeit in die Schale gießt und beruhigt: „Das ist nicht gefährlich, wenn man nicht gerade seine Nase drüber hängt.“
Was im Labor manchmal aussieht wie eine Spielerei, wird in den Gesprächen zum zwischenmenschlichen Feldversuch, zur Reflexion über Hybris und Endlichkeit des Menschen, Verschwendung und Konkurrenz in der Natur, darüber, dass Leben ohne Tod nicht denkbar sei. Das aber, sagt Nellen, „ist nicht mein eigentliches Kompetenzthema“.
Mag wohl sein, dass das Credo des Professors deshalb trotz all seiner persönlichen Überzeugungskraft am Ende schlicht klingt. Mutationen, Veränderungen der Gene gab und gibt es täglich in der Natur. Gene nehmen Schaden, haben Fehler, verändern sich, je nach äußeren Einflüssen schneller oder langsamer. Die Gentechnik tue im Labor schlussendlich auch nichts anderes, sagt Nellen.
Die Sozio-Biologie arbeite dann zum Wohle der Menschen, wenn es gelte, zu helfen, ihnen Hoffnung auf Medikamente zu geben, die schwere und schwerste Krankheiten heilen können. An diesem Punkt kommen sich Pfarrer und Forscher dann doch sehr nahe.
Da schreiten dann auch Pfarrer mit Pipette und Bunsenbrenner zum Töten: Sie plattieren Bakterienstämme. Mit denen, sagt Nellen, „haben wir alle am wenigsten ethische Probleme“. Die Bakterien werden mehr oder weniger starkem UV-Licht ausgesetzt. Einige werden sterben, andere ihren Reparaturmechismus aktivieren und verändert weiterexistieren. Leben oder Tod, Versuch und Irrtum, mit meist letalem Ausgang, der „Phänotyp Tod“, doziert Nellen, sei das außerhalb des Labors vorherrschende Prinzip: „Was die Natur treibt, das ist völlig unverantwortlich.“ Deshalb könne doch „so unverantwortlich nicht sein, was wir treiben“.
Der einzelne Mensch mit seinem 35 Milliarden Genomen werde jedenfalls durch die Gentechnik nicht grundlegend verändert werden können, sondern, da ist sich Nellen sicher, immer „ein unverwechselbares Individuum“ bleiben. HEIDE PLATEN
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