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pop komm raus . . .Der große Run aufs Netz: Neue Musikportale öffnen ihre Pforten

Copy kills music lebt!

Noch bevor die Popkomm gestern in Köln offiziell eröffnet wurde, sind im Netz die virtuellen Pforten aufgegangen. Unter www.popkomm.de kann man sich schon seit Februar, und in Zukunft das ganze Jahr über, durch ein massiv erweitertes Angebot aus Nachrichten, Spielen, Web-Radiofenstern und Links zu anderen Internetseiten klicken.

Dort, im Netz, wird es zunehmend unübersichtlich: Es wimmelt nur so von neuen Musik-Seiten, Web-Radios, Online-Shops und Internet-Labels, und täglich werden es mehr. Pünktlich zur Popkomm hat der große Run aufs Netz eingesetzt, und Musikportale junger Start-ups schießen wie Pilze aus der digitalen Nährlösung. Während Letztere die kreative Arbeit für die Branche verrichten, lassen es die Major Players der Musikindustrie weiterhin ruhig angehen.

Immerhin hat der Bundesverband der phonographischen Wirtschaft mit www.phonokomm.de im Vorfeld der Messe eine Onlineplattform installiert, als eine Art virtueller Parallelmesse für die Dauer von sechs Wochen. Dort kann sich der phonographische Nachwuchs darüber aufklären lassen, wie die Charts funktionieren, oder ganz interaktiv selbst Labelmanager spielen. Von neuen netzspezifischen Konzepten ist hier allerdings wenig zu sehen. Stattdessen pflegt man – unter dem preisverdächtigen Dadatitel „Copy kills music lebt!“ – den PR-Mythos einer kulturell innovativen Industrie und wettert wie gehabt gegen die bösen, gewissenlosen CD-Brenner: „Wer in fünf Jahren noch eine breite Auswahl an neuer, interessanter Musik hören will, muss sich heute gegen das schrankenlose CD-Kopieren engagieren.“

Über MP3 wird dezent geschwiegen. Denn die Musikkonzerne setzen offiziell auf proprietäre Soundformate: Die Kollegen von der Bertelsmann Music Group werden das hauseigene Projekt einer kommerziellen Musiksite vorstellen, auf der Adresse www.musicdownload24.de. Dazu wird dort ab September ein neues kopiergeschütztes Format als Waffe gegen Piraterie eingesetzt, damit alter Content in dichte neue Schläuche gefüllt werden kann.

Derweil sitzen Legionen von Start-ups in den Löchern oder sind bereits online, um die Branche mit Hilfe von MP3 und neuen Ideen ins 21. Jahrhundert zu befördern. Auch wenn bis dahin noch Millionen an Venture Capital verbrannt werden, eröffnen sich hier in Zukunft intimere Schnittstellen mit jungen Zielgruppen, die dann auch der alten Musikindustrie ganz gelegen kommen dürften.

Das 1999 als digitale Verlängerung des kleinen Hamburger Drum & Bass-Labels DonQ gegründete Loopnet.de etwa ist eine Plattform, die kostenlose MP3s bereithält, um junge Künstler zu promoten. Diese Praxis wurde vom Phonoverband einst als „gequirlter Wahnsinn“ bezeichnet, weil damit ja Musik verschenkt wird.

Vor kurzem lancierte Loopnet.de aber zusammen mit der EMI www.urbancutz.de. Das Forum für die HipHop-Community verfügt selbstverständlich über eine MP3-Datenbank. Dort stellen sich junge Talente einem interessierten Publikum vor, das unter anderem aus den Talentsuchern der EMI besteht. Konzepte wie urbancutz.de haben für die Plattenfirmen den Vorteil, dass man sich nicht auf den Geschmack der hauseigenen Trendscouts verlassen muss, sondern idealerweise die interessanten Daten zum Publikum über die Publikumsreaktionen selbst abfragen kann.

Die Idee einer Plattform für unbekannte Künstler wurde letztes Jahr von www.peoplesound.com in Großbritannien zumindest in Hinblick auf die Zahl der Seitenbesuche erfolgreich umgesetzt und inzwischen auf lokale Sites in Frankreich und Deutschland erweitert. Peoplesound trägt sich fürs Erste durch 75 Millionen Dollar Fremdkapital, das dem deutschen Markt demnächst eine massive PR-Kampagne bescheren dürfte. Den Popstars von morgen gibt die Firma heute schon einen Vorschuss von genau 160 Euro auf deren erste über die Site verkaufte CD.

Die Idee des Start-ups ist simpel und netzgerecht: Erstens gibt es genügend „kreative Menschen“, die durchs Raster der herkömmlichen Entertainmentstrukturen fallen. Zweitens gibt es genügend Leute, die nicht finden, was sie suchen, weil ihnen der Überblick fehlt, weil sie keine Zeit haben oder irgendwo in Suburbia wohnen. Drittens treffen sich auf diesem Wege Konsumenten, Talente und Talentscouts, und viertens sind damit alle glücklich.

Gefunden wird die gewünschte Musik durch die Suche nach Genres, Stimmungen oder bekannten Stars, denen die Neukünstler zugeordnet sind. Zu jedem Projekt finden Nutzer mindestens zwei kostenlose MP3s, bald soll man sich gegen Bezahlung CDs selbst zusammenstellen können. Die Musiker entscheiden bezüglich der eigenen Verkauf-CDs selbst über die Preispolitik und müssen sich keinen Exklusivverträgen unterwerfen. Wer im direkten Wettbewerb der Selbstvermarktung siegt, kann dann von den Majors aus dem Netz gelesen werden. So sieht smarter kybernetischer Kapitalismus aus. Angebot und Nachfrage schmiegen sich per Mausklick aneinander an. Und für die User gilt: Pop ist ein Verhältnis zwischen dir und deinem Terminal. ULRICH GUTMAIR

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