: „Z“ ist ein Anfang
Wenn all diejenigen, die nicht schweigen wollen, gemeinsam handeln, hat die Zivilgesellschaft eine Chance
von BARBARA JUNGE
Am 20. April schleudern in Erfurt Neonazis einen Brandsatz gegen eine Synagoge. Die Täter hatten den Jahrestag von Hitlers Geburtstag mit Bedacht gewählt – als Fanal, als Aufforderung zur Nachahmung. Wenig später stirbt in Dessau Alberto Adriano – von Neonazis zu Tode getreten. In Dortmund erschießt ein offenbar durchgedrehter Anhänger rechtsextremer Parteien drei Polizisten. Wenig später explodiert in Düsseldorf eine Handgranate und verletzt neun jüdische Kontingentflüchtlinge zum Teil lebensgefährlich. Die oder der Täter von Düsseldorf sind noch nicht ermittelt und es ist noch unklar, ob es sich um einen rechtsradikalen Anschlag gehandelt hat. Doch die Bundesrepublik ist seitdem nicht mehr dieselbe.
Die Industrie meldet sich zu Wort und stellt fest, dass der Rechtsextremismus eine Bedrohung des Standortes ist. Die Innenminister tagen, Kommunalpolitiker, die Bundesregierung, selbst die CSU ruft zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf. Gut so. Nur, bei der augenblicklichen Aufregung droht in Vergessenheit zu geraten: Rassistische Übergriffe sind keine Erscheinung, die wie eine Naturgewalt über die Republik hereingebrochen ist. Seit zehn Jahren gehören sie zur Tagesordnung, seit Jahren gibt es „national befreite Zonen“, Schwulenhetze und eine Das-Boot-ist-voll-Rhetorik. Aber erst jetzt ist ein breites Bündnis von Bürgern zum Kampf gegen rechts bereit. „Mit allen Mitteln.“
Düsseldorf – der Anschlag ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei. Die Vernetzung der Neonazis unter dem Dach der NPD – sie muss auch als juristisches Problem behandelt werden. Der rassistische Alltag in weiten Teilen der Republik, nicht nur in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, sind jedoch ein Problem der Zivilgesellschaft. Und um die steht es nicht zum Besten.
Erinnern wir uns: Anfang der Neunzigerjahre applaudierten in Rostock-Lichtenhagen „brave“ Bürger Neonazis beim Sturm auf Asylbewerber. In Mölln starben drei Menschen bei einem Brandanschlag, in Solingen fünf Menschen. Lichterketten gegen rassistische Gewalt überzogen die Bundesrepublik, eine Reihe rechtsextremer Parteien wurden verboten. Danach war alles gut. Die Zivilgesellschaft ging wieder nach Hause.
Und heute, sieben, acht Jahre später? Nach ihrem Winterschlaf entdeckt die Gesellschaft: In weiten Teilen des Landes ist es schlecht bestellt um eine antifaschistische und demokratische Grundhaltung. Neonazistische Kameradschaften, völkische Straßenbanden, rechtsorientierte Jugendliche terrorisieren ganze Bevölkerungsgruppen und Landstriche. Vielerorts haben Kommunalpolitiker bereits resigniert aufgegeben und tolerieren die Gewalt gegen alles, was nicht angepasst ist. Rechtsextreme haben sich an vielen Orten mit Hilfe der akzeptierenden Sozialarbeit ihre auch staatlich finanzierten Bastionen aufgebaut. Und trotz zukunftsweisender rot-grüner Projekte wie der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und der Homo-Ehe findet in der Republik der Neuen Mitte die Ideologie der Stärke und das Recht des Schnelleren und Skrupelloseren mehr und mehr Zuspruch.
Statt Sozialdarwinismus und postmodernem Zynismus brauchen wir heute die Wiederbelebung des Gedankens der Zivilgesellschaft. Eine Vernetzung derjenigen, die für Emanzipation und Gleichberechtigung eintreten. „Es kommt auf Menschen an, die den Blick klar auf das Problem richten“, sagte Anetta Kahane, Leiterin der „Regionalstelle für Ausländerfragen“ in Berlin, kürzlich in der taz. „Das Problem ist ein Demokratiedefizit und ein Jahrzehnte altes Defizit im Umgang mit Minderheiten, Ausländern und Flüchtlingen. Man kann nicht in vorauseilendem Gehorsam vor den Rechten den Rechtsstaat demontieren, indem man schärfere Gesetze fordert. Man muss den langen und schwierigen Weg gehen, Demokratie mit Leben zu füllen.“
Und Zivilgesellschaft ist da, wo jeder Einzelne steht. Wenn all diejenigen, die nicht schweigen wollen, gemeinsam handeln, dann hat die Zivilgesellschaft eine Chance.
Ende Juli – ein ganz normaler Tag in Deutschland: In einer Straßenbahn in Potsdam werden ein 13-jähriger Junge aus dem Kongo und ein 14-jähriger Kenianer von einer Gruppe Männer mit den Worten „Scheiß Neger, was wollt ihr hier“ beschimpft. Anschließend wird der 14-Jährige aus der Bahn geschubst. Den 13-Jährigen attackieren die Täter mit Schlägen und Tritten. Nichts Ungewöhnliches in Deutschland. Jahrelang waren hunderte ähnlicher Ereignisse kaum eine Nachrichtenzeile wert. Doch in Potsdam stellen sich Bürger schützend vor die Kinder. Der Straßenbahnfahrer Frank L. spricht zwei der Täter direkt an. Daraufhin wird auch er beschimpft: „Du willst ein Deutscher sein und scheißt deine eigenen Landsleute zusammen.“ Frank L. antwortet: „Ich scheiß jeden an, der Scheiße baut.“
Handeln kann man auf vielerlei Art. Jede/r muss für sich selbst entscheiden, was er oder sie tun kann. Eine Plakataktion etwa, Hilfe für Flüchtlinge, auch eine Aktion wie die taz sie heute präsentiert, bei der die Drahtzieher des Rechtsextremismus genannt werden.
Mit der Kampagne „Z steht für Zivilcourage“ wollen wir all diejenigen unterstützen, die bislang vereinzelt dem rechten Terror entgegengetreten sind, und all diejenigen ermutigen, die sich bislang aus welchen Gründen auch immer nicht getraut haben. Wer nicht schweigend wegschauen will, ist eingeladen einzusteigen. „Z“ kann und will keine politischen Schritte ersetzen. Es ist nicht mehr als eine Geste, die aber von vielen aufgegriffen und fortgesetzt werden kann.
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