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Der Löwe ist nur eine Ente

Die Sichtung einer angeblichen Raubkatze löste im brandenburgischen Schenkendorf eine Großwildsafari aus. Gefunden wurde nichts

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Brandenburg ist immer wieder für eine Überraschung gut. Mal sind es rechte Schläger, die das Land in Atem halten, mal das Oderhochwasser wie vor drei Jahren. Doch was bis gestern Vormittag im Dörfchen Schenkendorf im Landkreis Dahme-Spreewald los war, verleiht dem Land zwischen Spree und Oder ein Flair von Daktari-Exotik.

Am Mittwochvormittag hatte ein Arbeiter am Krummen See, etwa zwanzig Kilometer von Berlin entfernt, ein Tier gesehen, das wie ein Löwe aussah. Kurze Zeit später meldete sich ein Jugendlicher, der in nur etwa 1.000 Meter Entfernung ebenfalls eine aufregende Beobachtung gemacht hatte. „Ein Löwe, ein weiblicher, denn er hatte keine Mähne.“ Die Aussagen der beiden galten als glaubwürdig, so die Polizei. Also wurden jede Menge Einsatzkräfte ins Sommerloch geschickt: 50 Polizeibeamte, 15 Einsatz- und Rettungskräfte der Freiwilligen Feuerwehr, ein Jäger und ein Veterinärmediziner samt Betäubungsgewehr. Zwei Hubschrauber suchten im Tiefflug Wiesen und Wälder ab. Per Lautsprecher, Radio und Fernsehen wurden Anwohner aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben und Türen und Fenster geschlossen zu halten. Kinder, die im See badeten, wurden in Polizeiautos verfrachtet und in Sicherheit gebracht, Wanderer mussten lauschige Naturpfade verlassen und Schutz in einer Gaststätte suchen. Ihre Proteste – „So ein Quatsch, wo soll denn hier ein Löwe herkommen“ – verhallten ungehört.

Dass es allerorten Entwarnung gab – der in der Nähe gastierende Zirkus Humberto war komplett, kein anderer Zoo oder kein Tierheim vermisste einen Vierbeiner – machte die Suchaktion immer geheimnisvoller und den Steckbrief immer ominöser. À la heiteres Tiereraten wurde ein Wesen gesucht „schlank, hellbraun bis gelb, größer als ein Hund und dicker als ein Reh.“ Ein Riesenhund, ein Monsterbambi, ein Kampfhund gar?

Mit den Beamten machte sich auch die Hauptstadtpresse auf die Suche. „Der Löwe ist los“, hieß es gestern in der Berliner Zeitung. „Löwenalarm am Stadtrand“, titelte der Tagesspiegel. Die BZ wusste gar auf Seite 1 in Furcht einflößenden Lettern von einer „hungrigen Löwin“ und „riesigen Tatzenabdrücken“ zu berichten. Dass die Polizei unterdessen vermeldet hatte: „Keine Spur von Land-Nessi vom Krummen See“, fand nur im Berliner Kurier Erwähnung. Dort hieß es: „Löwenalarm war ’ne Ente“.

Trotzdem ging die Meldung deutschlandweit auf Sendung. Als das Privatradio „Regenbogen“ in Baden-Württemberg von Jägern auf Löwenjagd berichtete, griff der Marketingchef der Heidelberger Zement AG zum Telefon. „Bevor die den abschießen, gibt es andere Möglichkeiten.“ Als bis zum späten Nachmittag keine Entwarnung kam, gab er dem Radio ein Interview und bot an, die Kosten für ein Narkosegewehr zu übernehmen. Der Grund: Das Betonwerk hält es schon länger mit Löwen. Im Firmenlogo prangt das Raubtier, und im Heidelberger Zoo erinnert eine Tafel an eine Patenschaft für die dortigen Löwen.

Gestern Vormittag wurde die Großwildsafari für beendet erklärt. Zwar hatten Anwohner in der Nacht „undefinierbares Gebrüll“ wahrgenommen. Doch das kann ebenso aus den Kehlen der eingesetzten Streifenbeamten und Jäger gekommen sein, die fluchten, weil sie nicht wussten, was sie des Nachts eigentlich suchten. Nach einem nochmaligen Hubschraubereinsatz gestern Morgen war Schluss mit lustig. Wenn Brandenburg und Berlin wirklich einmal fusionieren, sollte jedem Brandenburger eine Freikarte für den Zoo spendiert werden.

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