■ H.G. Hollein: Geballte Geburten
Die Frau, mit ich lebe, hat demnächst Geburtstag. Den darf ich nicht vergessen. Aber wozu gibt es Eselsbrücken? Die Gefährtin wurde – wie sie öfter als gelegentlich erwähnt – einen Tag nach Goethe geboren. Wenn auch 155 Jahre später. Falls mir die Vita des Dichterfürsten gerade mal nicht präsent sein sollte, muss ich nur an Napoleon denken. Der erblickte im Jahr 20 nach Goethe und 14 Tage vor der Gefährtin das Licht der Welt und wurde genauso groß wie sie. Oder blieb so klein. Je nachdem. 1,58 Meter sind schließlich nicht die Welt. Acht Tage nach Napoleon, mithin sechs Tage vor der Gefährtin, ist übrigens meine Mutter dran. Darf ich auch nicht vergessen. Vier Tage später, einen Tag vor Goethe, zwei vor der Gefährtin, will Freundin H. gratulatorisch bedacht sein. Vom Ersinnen „origineller“, nach Möglichkeit gar „persönlicher“ Geschenke will ich gar nicht reden. Ich bin schon froh, wenn mir zum Augustanfang etwas Passendes für Freundin U. einfällt. Deren Geburtstag ist immerhin am leichtesten zu merken. Er fällt auf den Jahrestag des ersten Atombombenabwurfs. Das hört U. allerdings nicht so gern. Ich finde diese Massierung augustgeborener Frauen im meinem Leben übrigens ein bisschen aufdringlich, wenn nicht verdächtig. Ein freudianischer Astrologe hätte vermutlich seinen Spaß an mir. Andererseits können die armen Wesen nichts dafür, dass sich ihre jeweiligen Eltern mit Verve – wenn auch einigermaßen phantasielos – prompt bei Anbruch der langen Herbstnächte in die Zeugung von Töchtern gestürzt haben. Ach ja, da wäre eigentlich noch M. gewesen, die drei Tage nach U. abgeworfen wurde. Aber was zu viel ist, ist eben zu viel. Zumindest die Gefährtin erwartet an ihrem Ehrentag einen überzeugenden Anflug von Spontaneität. Da spare ich mich eben lieber auf.
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