Betriebe sparen sich Azubis

Zum heute beginnenden Ausbildungsjahr sind tausende Jugendliche leer ausgegangen. Sie suchen noch eine Stelle. Nur 38 Prozent der ausbildungsfähigen Betriebe kümmern sich um Nachwuchs

von RICHARD ROTHER

Heute beginnt das neue Ausbildungsjahr – und für tausende Jugendliche ist es ein schlechter Tag: Denn sie haben noch immer keine Lehrstelle. Nach den Augustzahlen des Arbeitsamtes – aktuellere liegen noch nicht vor –suchen noch mehr als 10.000 Jugendliche in Berlin einen Ausbildungsplatz. Wie viele von ihnen mittlerweile fündig geworden sind, ist im Moment noch unklar. Das Landesarbeitsamt geht davon aus, dass Ende September noch rund 1.000 Jugendliche eine Lehrstelle suchen werden. Die Situation habe sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert, sagte gestern ein Behördensprecher. „Von einer Entspannung kann keine Rede sein.“

Die Unternehmen haben in diesem Jahr rund drei Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt – ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn ohne die öffentliche Finanzierung von 3.500 Lehrstellen sähe es noch schlimmer aus, als es derzeit der Fall ist. „Es ist ein Skandal, dass die Wirtschaft selbst Bewerber mit guten Zeugnissen im Regen stehen lässt“, sagt DGB-Landesvize Bernd Rissmann. Die Ausbildungsneigung der Berliner Betriebe ist allerdings höchst unterschiedlich. Während sich die einen um den Nachwuchs kümmern, verlassen sich andere auf den Staat oder die Konkurrenz. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung bilden nur 38 Prozent der ausbildungsfähigen Betriebe der Stadt aus.

Die wenig oder nur gering ausbildenden Betriebe sind allerdings nicht nur unter finanzschwachen Kleinbetrieben zu finden. Auch größere Unternehmen liegen unter der allgemein anerkannten Ausbildungsquote, nach der mindestens fünf Prozent aller Beschäftigten Azubis sein sollen.

Bei Samsung in Köpenick werden in diesem Jahr keine neuen Azubis eingestellt. Gerade mal drei Auszubildende gibt es in dem Unternehmen, das mit rund 1.000 Mitarbeitern elektronische Bauelemente produziert. Es gäbe doch keine Vorschriften, wie viele Azubis man haben muss, hieß es im Unternehmen.

Die Berliner VW-Bordnetze-Werke bilden gar keine Azubis aus. Rund 250 Beschäftigte produzieren in Spandau Kabel für die Firmenautos. Auch unter den rund 100 Mitarbeitern der Spandauer Graphischer Maschinenbau GmbH ist kein Azubi zu finden. Der Drogeriediscounter Schlecker bildet nach Gewerkschaftsangaben in seinen Filialen keine Lehrlinge aus. Eine Firmensprecherin konnte dazu gestern keine Auskünfte geben.

Zurückhaltend ist auch Motorola, das in seinem Berliner Funkgerätewerk rund 500 Mitarbeiter beschäftigt. Hier werden neun Lehrlinge ausgebildet. „Wir sind noch nicht lange in Berlin“, sagt Ausbildungsleiter Günter Petri. Man habe die Produktion umstellen müssen. Eine gute Ausbildung koste viel Geld. Gäbe es mehr Lehrlinge, könnte die Ausbildung darunter leiden.

Die Bankgesellschaft Berlin erreicht mit ihren rund 800 Azubis die Fünfprozenthürde nur knapp. „Wir sind traditionell einer der größten Ausbilder der Stadt“, so ein Firmensprecher. Zudem müsse man bedenken, dass immer mehr junge Leute in den zukunftsträchtigen Berufen wie IT-Systemtechniken ausgebildet würden. Die Berliner Wasserbetriebe haben Ausbildungsplätze abgebaut. Wegen des allgemeinen Arbeitsplatzabbaus erreiche man aber nach wie vor eine Ausbildungsquote von knapp sechs Prozent, betont ein Firmensprecher.

Andere, vor allem größere Betriebe bilden aber auch deutlich über Bedarf aus. „BMW und DaimlerChrysler sind sicherlich vorbildliche Unternehmen“, lobt sogar IG-Metall-Jugendsekretär Louis Sergio. Anerkennen müsse man auch die Ausbildungsbemühungen vom Glühlampenhersteller Osram und dem Aufzugsbauer Otis. Krupp Stahlbau habe gar eine Ausbildungsquote von 15 Prozent. Hohe Werte finden sich auch bei der Berliner Volksbank, bei Karstadt und Schering.

Einen spürbaren Anstieg an Ausbildungen verzeichnen die neuen Medien- und Informationsberufe. Knapp 700 Ausbildungen waren es bereits im vergangenen Jahr. Dennoch bildeten die Start-up-Unternehmen zu wenig aus, der Bedarf sei wesentlich höher, betont der Sprecher des Landesarbeitsamtes. „Viele haben sich noch nie mit dem Gedanken beschäftigt, dass es überhaupt Ausbildung gibt.“