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Die Brücke ohne Namen

Auf der französischen Seite schimpft man über die rückständigen Spanier. Auf der spanischen Seite hat keiner etwas mit den Separatisten zu tun

von DOROTHEA HAHN

Die Brücke hat so oft ihre Bestimmung geändert, dass sich die Menschen nicht mehr an ihren Namen erinnern. Soldaten und Dikatoren haben sie überquert. Für hunderttausende von Flüchtlingen aus beiden Richtungen war sie das rettende Nadelöhr. Dann versperrten Zivilgardisten jahrzehntelang die Passage. Sie verschwanden, als Millionen von Touristen kamen, die Sonne und billige Strände suchten.

Jetzt dient die Brücke über den Bidassoa nur noch Spaziergängern und Joggern, Anglern und Einkäufern. Sie nennen sie „el puente“, wenn sie aus Spanien kommen. „le pont“, wenn sie aus Frankreich kommen. „zubia“, wenn sie sich vor allem baskisch fühlen.

Eine Idylle überm Fluss

Die Brücke ist heute eine Idylle über dem Fluss, dessen Wasser im Gezeitenrhythmus des wenige hundert Meter entfernten Atlantik steigt und fällt. Der motorisierte Durchgangsverkehr zwischen Fuentarrabia und Irún auf der spanischen Seite und Hendaye auf der französischen Seite fließt über die drei Nachbarbrücken – eine für Autos, eine für Züge und eine für die Straßenbahn, die seit beinahe 90 Jahren das spanische mit dem französischen Baskenland verbindet.

„Hier hat sich meine Mutter in Sicherheit gebracht. Sie war die Einzige aus der Familie, die es geschafft hat. Alle anderen sind im Bürgerkrieg geblieben“, sagt Sanchez, der als Lehrer in Paris arbeitet. 62 Jahre nach der Flucht der Mutter macht er Urlaub im französischen Baskenland. Wandert an einem Tag hoch in die Berge und badet am nächsten im Meer. „Eine schöne Region“, schwärmt er, „wenn bloß der Terrorismus von drüben nicht herüberschwappt.“ Am Vorabend hat er eine Gruppe Jugendlicher erwischt, wie sie auf der französischen Seite „Parolen für die ETA“ an eine Mauer sprühten. „Es waren Spanier“, versichert er.

„Das alles ist unser Land“, sagt Iñaki mit einer weiten Armbewegung auf die grünen Berge an beiden Enden der Brücke. Der Alte – Baskenmütze, blaue Arbeiterhosen – aus einem Bergdorf bei Guernica schlendert hinüber nach „Iparralde“, ins nördliche Baskenland. Mit den Freunden dort redet er seine Muttersprache Baskisch. Oft geht es um „früher“, als die Basken ein „gesundes Volk“ waren, zusammenhielten und die Kirche und die alten Traditionen wie das Steinereißen beim Dorffest respektierten. Man versteht sich, obwohl der Dialekt anders ist, und obwohl die in Frankreich wenig von einer Vereinigung mit dem südlichen Baskenland und von einem „baskischen Staat“ wissen wollen, wie ihn auf der spanischen Seite viele herbeisehnen und manche herbeibomben wollen. „Drüben gibt’s auch Bomben“, sagt Iñaki, „bloß lassen die Gendarmen nichts durchsickern.“

Kaum Baskisch

In Frankreich kommt „baskisch“ nur in einer geographischen Bezeichnung vor – „côte basque“. Das „Département basque“, für das einige Politiker seit 1981 die Trommel rühren, und für das sich inzwischen eine Mehrheit der Bürgermeister in der Region ausgesprochen hat, gibt es bis heute nicht. Ein lokales Referendum darüber wird seit Jahren verschoben. Die Nationalistenparteien – die sich in Frankreich wie in Spanien „abertzale“, patriotisch, nennen – führen ein Schattendasein. In den Rathäusern sitzen entweder Sozialisten oder Konservative. Die kleine bewaffnete Nationalistentruppe „Iparretarak“ bringt sich bloß alle Jubeljahre mit einem Anschlag gegen ein staatliches französisches Büro in Bayonne oder Biarritz in Erinnerung.

Zugereiste sind Fremde

„Für die Basken bin ich ein Fremder“, sagt Marc aus Marseille, der mit Einkaufstauschen in Richtung Spanien geht. Für ein paar Peseten will er „drüben“, in den Supermärkten gleich am Ende der Brücke, seinen Monatsbedarf an Zigaretten, Whiskey und Sherry decken. So hat es der Elektriker von seinen Nachbarn in Hendaye abgeschaut, als er in den 90er-Jahren in die französische Grenzregion zog. „Die Basken“, sagt er, „sind uralte Familien. Die bleiben unter sich. Auch wenn nur wenige die Sprache sprechen.“

In Spanien, das in den 70er-Jahren Autonomiestatute vergab, haben die Basken seither in ihren Provinzen Álava, Biskaya und Guipúzcoa eine eigene Polizei, Baskisch als Schulsprache und ein eigenes Parlament. Die eine Hälfte der Bevölkerung der drei Provinzen wählt seit zwei Jahrzehnten „baskische“ Parteien – rechte und linke. Die andere Hälfte stimmt für „spanische“ Parteien – rechte und linke. In jeder baskischen Regierung stellte die konservative Nationalistenpartei PNV den Chef. Fast immer paktiert sie, je nach Konjunktur offen oder verdeckt, mit der rund 15 Prozent starken „Herri Batasuna“, dem Sprachrohr der bewaffneten Separatistenorganisation ETA.

Kein Interesse am Kampf

„Bei uns haben radikale Nationalisten nichts zu melden“, versichert die Fischersfrau aus Fuentarrabia auf der spanischen Seite: „Wir sind Arbeiter, wir haben andere Sorgen. Wenn die bei uns etwas kaputtschlagen, wissen sie, was ihnen blüht.“ Die Fischersfrau, die seit ihrer Kindheit Baskisch spricht, hat sich in ein gelbes Kostüm geworfen, um über die Brücke zu gehen. Wie jeden Monat wird sie „drüben“ die Rente ihres Mannes kassieren, der auf einem französischen Boot gearbeitet hat. Als vor einigen Jahren die spanischen Fischer die Bucht für ihre französischen Kollegen sperrten, war er noch im Dienst. Da standen die drei Söhne auf ihren spanischen Fischerbooten plötzlich gegen den Vater auf dem großen französischen Kahn, der mit riesigen Schleppnetzen das Meer leer fischt. Der Konflikt hat sich erledigt, seit die Fischfangflotte der französischen Grenzstadt Hendaye Pleite gegangen ist. Aber „drüben“ wohnen, wie es der Mann öfter vorgeschlagen hat und wie es immer mehr junge Spanier tun, kam für die Fischerfrau trotzdem nie in Frage: „Bei uns ist es viel schöner“.

Rückständige Spanier

„Die und fortschrittlich – dass ich nicht lache“, prustet Jean, der seinen Jagdhund ausführt. Vor dem spanischen Ende der Brücke macht er kehrt, „da drüben schmeißen die heute noch den Müll ihrer Großstädte ins Meer. Kläranlagen haben sie auch nicht. Der ganze Dreck wird bei uns an die Badestrände geschwemmt. Die Reinigung kostet uns Millionen.“ Der Staatsbeamte in Rente ist im französischen Baskenland geboren, „aber Achtung! Ich bin kein Baske, meine Eltern sind aus dem Norden“. Mit „den Spaniern“, sagt er, „lief es so lange gut, bis die Pesete übermütig wurde“. Jetzt drängen immer mehr junge Familien auf die französische Seite des Bidassoa, wo sie für ihr Erspartes größere Wohnungen bekommen als „drüben“ und wo die Schulen einen besseren Ruf haben. Auch das Traumgrundstück von Jean ging in den 90er-Jahren an spanische Käufer, die mehr bieten konnten. „Im Stadtteil Aguerria, oben am Hügel von Hendaye muss man heute Spanisch reden“, schimpft er, „das ist ein Ghetto geworden.“

Die weißen Hausfassaden auf beiden Seiten des Bidassoa sind von rot, blau oder grün gestrichenen Holzbalken unterbrochen. Baskisches Fachwerk. In Irún und Fuentarrabia erinnert allenfalls das Nachtleben an Madrid. Die Fahne ist die baskische Ikurriña, und die Poster an den verwitterten Mauern lassen – auf Baskisch – den „nationalen Befreiungskampf“ hochleben. Niemand reißt sie ab. An den Mauern des blitzblanken französischen Grenzortes Hendaye klebt gar nichts. Die offiziellen Schilder sind französisch beschriftet – manche mit Übersetzung ins Baskische. Und die einzige Fahne ist die Trikolore. In gepflegten Parkanlagen stehen Denkmäler, die an die kollektiven Ereignisse der französischen Geschichte erinnern, an Kriegsgefallene und an Résistants.

Dreiste Nationalisten

„Seit es die Grenzkontrollen nicht mehr gibt“, schimpft die alte Dame mit den hellrosa lackierten Fingernägeln auf Französisch, „werden die radikalen baskischen Nationalisten immer dreister. Sie können jetzt beliebig Bomben hin- und hertransportieren. Und selbst in Frankreich lernen jetzt schon die Vorschulkinder Baskisch.“ Über 40 Jahre nachdem sie – „wegen Franco und weil es bei uns keine Arbeit gab“ – nach Frankreich übergesiedelt ist, hat sie das gezischte „s“ ihrer spanischen Muttersprache beibehalten. Als sie neulich in Hendaye einen Jugendlichen aufforderte, den Kot seines Hundes aufzuheben, grölte der zurück: „Geh doch nach drüben.“

Die Brücke über den Bidassoa ist eine internationale Brücke. Noch. Kürzlich haben die drei Gemeinden an ihren beiden Enden eine gemeinsame Stadt gegründet, die vorerst nur auf dem Papier existiert. Sie trägt den baskischen Namen der Flussmündung: „Txingudi“. Brüssel fördert das Vorhaben mit viel Geld. Vorerst geht es um die Verwaltung von Sport, Kultur und Müll.

Eines Tages soll Txingudi eine richtige Stadt werden. Eine europäische.

Vielleicht ja auch eine baskische.

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