piwik no script img

Der Mullah von Bullerbü

von WIGLAF DROSTE und GERHARD HENSCHEL

Was bisher geschah: Während Kommissarin Gisela Güzel ermittelt, befindet sich das Weltgewissen in Eisenach . . .

Hans Küng hatte eisige Laune, als er in der Erlebnis-Buchhandlung im Marktkauf-Einkaufszentrum im schrappigen Eisenach eintraf. Zu seinem Vortrag über Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft hatten sich nur dreizehn zahlende Thüringer eingefunden, und der Buchhändler Ingo Beberitzsch, ein Mann von salatenem Äußeren, war auch nicht gerade der Bringer, ebenso wenig wie der Veranstaltungsort. Für seinen Gast hatte Beberitzsch einen verschrammten Klapptisch in der kahlen, zugigen, fahl gekachelten Wandelhalle vor der Buchhandlung aufgebaut. Es war unwahrscheinlich, dass hier, zwischen Rolltreppen, Souvenirshops und Kunststoffkoniferen, der berühmte Funke überspringen konnte, der die Herzen entflammte.

„Après Event gibt’s Kniften und Puffbrause satt“, eröffnete Beberitzsch dem grummelnden Gottesmann. „Und danach geht’s ab in den Irish Pub!“

Küng hatte nicht zugehört. „Ich hab sonst immer volle Hütte!“, meiselte er. Dann fiel sein Blick auf das Ankündigungsplakat: „Küng-Vortrag drei Mark!“ Hans Küng sah rot. „Drei Mark? Für mich zahlen die Leute sonst mindestens zwanzig Tacken!“

Beberitzsch nickte. „Tja, so ist das in der Zone leider. Ich persönlich komme ja aus Hannover. Seit vier Jahren versuche ich, den Polacken hier Manieren beizubiegen, aber die kriegen einfach nicht gewuppt, dass Kultur auch was kostet.“

Einen Moment lang überlegte Küng, ob es nicht an der Zeit sei, die Brocken hinzuschmeißen. Was war das überhaupt für ein Leben als Weltethiker? Jahraus, jahrein von Pontius zu Pilatus tingeln, tauben Ohren predigen, Perlen vor die Säue feuern und ausgerechnet in der Lutherstadt Eisenach die Arschkarte ziehen? Nein, so ging es nicht mehr weiter. Alles in ihm bäumte sich auf, und es war, als wolle etwas in ihm zerbrechen.

„Onfongen!“, gnurbelten einige Zuhörer, die ihre Zeit nicht gestohlen zu haben glaubten. „Müör homm önsere Zürt nie geschdoohln!“

Küng besann sich auf seine Mission. Für das Projekt Weltethos war ihm kein Opfer zu groß. Er räusperte und sammelte sich. Die Menschen, dachte er, waren so unwissend. Plötzlich durchzuckte ihn ein neuer Gedanke: Eine unstillbare Gier nach Geld, Konsum und Fernsehkucken regierte die Welt und verschmutzte die Seelen. Dagegen galt es anzukämpfen, auch und gerade in Eisenach, in der Diaspora.

Er zwängte sich in das viel zu enge Bistrostühlchen, das Beberitzsch ihm hingestellt hatte. Dann schlug er sein Buch über Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft auf und las daraus vor. „Eine Vision: Müssten wir in diesem epochalen Paradigmenwechsel, in dem die Welt begriffen ist, nicht von den geistigen Fundamenten der Menschheit her dringend zumindest eine Grundorientierung für die Gegenwart im Blick auf die Zukunft anstreben?“

Von rechts näherte sich ein Reinemachemann mit Ohrenschützern und heulender Bohnermaschine, und irgendein Steppke zog auf einem quietschenden Dreirad seine Kreise.

Küng versuchte dagegenzuhalten und hob die Stimme. „Freie Bahn vielleicht nicht nur dem Tüchtigen, sondern auch dem Süchtigen: dem Süchtigen nach Macht, Einfluss, Prestige und Sex? Nein, so weit kann auch größte Toleranz und Liberalität nicht gehen“, sang er, aber gerade an der besten Stelle zischte die Espressomaschine des benachbarten Brutzelgriechen dazwischen.

Das Kind hatte jetzt auch die Vorzüge seiner Dreiradglocke entdeckt und spielte ausgiebig darauf herum. Am liebsten hätte Küng diesem Blag den Hals umgedreht – seine erste menschliche Regung seit Jahrzehnten. Als ihm das zu Bewusstsein kam, wurde ihm schlecht vor Wut, doch er las wacker weiter. „Um Heinrich Heine, den jüdisch-deutschen Dichter aus dem 19. Jahrhundert, zu variieren: Denkt man an Europa in der Nacht, wird man um den Schlaf gebracht!“

Das Publikum wurde unruhig. „Göht do mo wos ob?“, quakte ein Mann, der sich mehr von diesem Abend versprochen hatte. „Gomischör Grimi! Wonn kommt’n do de Möddo mo?“

Das ermutigte auch andere Zuhörer. „Früho hott de Gieng obo ’n höißeren Röifen geschrörm!“, wurde gerufen. „Wöldöddos, was sömma donn do domit onfongen?“

Küng kam zum Schluss. „Habeat sibi! Sursum corda! Sapere aude! Acta est fabula! Qui, quae, quod.“

„Wie? Schon fertig?“, fragte Beberitzsch. Der Impresario war überrascht. „Dann wollen wir mal schlemmen gehen. Das Büfett ist eröffnet!“

In der Erlebnis-Buchhandlung lagen fünf Eibrote mit einem Klacks Kaviarersatz, drei Radieschen und eine Spreewaldgurke neben der Kasse. Es gab auch Soljanka vom Fass. Beberitzsch schraubte einen Piccolo auf. „Ab geht er, der Peter! Schmeißt den Riemen auf die Orgel!“

Küng hielt sich an einer Tasse Soljanka fest und suchte Trost im Glauben. Von allen Seiten drängten sich die Fans an den Präsidenten der Stiftung Weltethos heran und hielten ihm Bücher zum Signieren unter die Nase: „Sie“, „Es“, „Blut“, „Brennen muss Salem“, „Shining“, „Carrie“, „Friedhof der Kuscheltiere“ – lauter fremde Schwarten, die Hans Küng noch nie im Leben gesehen hatte.

„Schröiben Se mür mor ’n Oddogromm dodrin: Füör Muddi!“

„Und bei müör füör Silvio!“ „Und bei müör bidde irrschindswoss Lüstisches!“„Soren Se mo, Herr Gieng, wie gommt mon äischentlisch off oll die gruselischen Ideen?“

Hans Küng wich zurück. Irgendetwas lief hier falsch, das spürte er. „Herr Beberitzsch“, zischelte er, „was wollen diese Menschen von mir?“

„Sorge dich nicht, signiere“, wieherte Beberitzsch, „und zwar zacko! Wir wollen doch noch in den Irish Pub! Da geht die Luzie ab, Alter.“

Küng wusste nicht mehr ein noch aus.

„Nu moche Se mo hinne“, schnatterte ein entzahnter Kiefer. „Müör sünn hier do nisch möär boi de Bolschewiggen!“

Bolschewiken? Friedhof der Kuscheltiere? Für Hans Küng war Eisenach gestorben. Erst Stunden später, im Irish Pub, nach einem Meter Futschi blond, lebte er wieder auf. „Vielleicht muss man durchs Feuer gehen, um ins Packeis zu gelangen“, sinnierte er. „Oder wie sehen Sie die Lage?“

Beberitzsch glitschte in seinem Element. „Lüttje Lage? Börro off de Harroherre, Küng! Ischende Püff sarsen se örrll, oder watt? Hejo? Ürrlll, ärrlll, örrlll! Da geh isch kaputt droff. Könnema nochene Schnegge begregge? Samma dann hö? Hey? Spotzfrönd? Haste noch watt auf der Ladde oder nit?“ Nach diesen Worten wollte Beberitzsch Küng einen Freundschaftsklaps auf die Schulter geben, verfehlte sie knapp und stürzte vom Hocker.

Küng schlug den Mantelkragen hoch. „Es war ein interessanter Abend“, sagte er. „Aber Erlebnis-Gesellschaft ist nicht mein Ding. Zu viel Globalisierung! Aus dem Alter bin ich raus. Arrivederci!“

Eiswind schlug dem alten Ketzer ins Gesicht, als er in die Eisenacher Nacht hinaustrat. Es ist deutsch in Kaltland, dachte er und schlingerte den Hotelmedien entgegen.

Fortsetzung morgen

Vorabdruck aus Droste/Henschel: „Der Mullah von Bullerbü“. Edition Nautilus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen