: Der Mullah von Bullerbü
von WIGLAF DROSTE und GERHARD HENSCHEL
Was bisher geschah: Kommissarin Gisela Güzel ermittelt. Die Spur führt nach Oberursel . . .
Auf dem Frankfurter Hauptbahnhof war es wie immer: laut und voll und fies. Aus den Lautsprechern rinnsalte Nudelmusik. Reisende standen in üppigen Bündeln vor einem gigantischen Fernsehmonitor. Sie himmelten Michael Schumacher an, der sich aus einer Magnumflasche Champagner ins Gesicht spritzte und dabei aussah wie ein Orgasmus für Anfänger. Es lag Rindswurstduft in der Luft. Menschen bissen in frittierte Riemen und ließen sich den Senf genießerisch in die Krägen laufen.
Am Service-Point stand ein junger Polizist. Er hielt ein Schild mit der Aufschrift „Güzel Tours“ hoch. Die Kommissarin gab ihm die Hand.
„Ich würde Sie ja lieber woandershin fahren als nach Oberursel“, sagte er und sah Gisela Güzel tief in die Augen.
„Ach, das kriegen wir schon hin mit Oberursel“, erwiderte die Kommissarin. „Meine Hand können Sie jetzt übrigens loslassen.“
Der junge Beamte wurde knallrot. Eine gusseiserne Hessin half ihm aus der Verlegenheit, indem sie ihm einen Kofferkuli in die Kniekehlen rammte. Eine Schweinefleisch-Marzipan-Torte fiel vom Wägelchen und platschte Gisela Güzel vor die Füße.
„Könne Sie net uffpasse, Sie Aamleuschtä!“, moserte die Seniorin. „Sie stehe hier rum mit Ihne Ihrm Flittsche unn zertrambeln mir mei schö Festesse! Isch bring Sie vor Gerischt!“
Unvermittelt sah die Greisin in den Lauf einer frisch vernickelten Smith & Wesson. „Marleen, eine von uns beiden muss nun gehn“, sagte Gisela Güzel und spannte den Hahn. Die Hessin zischte ab wie Speedy Gonzales.
Die Kommissarin lächelte. „Es gibt Momente, da liebe ich meinen Beruf.“
Im Wagen fragte sie den jungen Kollegen ein bisschen aus. „Sie machen doch einen sympathischen Eindruck. Weshalb sind Sie bloß bei der Polizei gelandet?“
„Weil ich so werden wollte wie Sie.“ Der junge Mann wurde schon wieder rot. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich meine das rein platonisch! Für gesetzestreue junge Männer sind Sie so was wie eine lebende Legende.“ Er streifte eine Straßenbahn und brachte den Wagen nur mühsam wieder unter Kontrolle. Seine Hände zitterten.
„Nette Art, auf mein Alter anzuspielen“, sagte Gisela Güzel.
Jetzt wurde der Nachwuchskriminalist rot wie eine Tube Tomatenmark. „Nein, nein“, jammerte er.
„Ich meine doch nur, dass Sie die coolste Polizistin sind seit Clarice Starling.“
„Und Sie sind der mutigste Rennfahrer seit Stirling Moss.“
„Ich heiße aber Heinz Coin“, gab der Polizist zur Antwort.
„Wie auch immer. Sie haben gerade die dritte rote Ampel überfahren, Herr Coin. Schauen Sie doch mal in den Rückspiegel.“
Ein Dutzend Streifenwagen lalülalate hinter ihnen her.
„Abhängen“, schlug die Kommissarin vor. „Das machen junge Männer doch am liebsten.“
Heinz Coin schluckte und wurde von Kopf bis Fuß purpurviolett. Dann latschte er aufs Gaspedal und raste durch bis Oberursel. Vor einem geschmacklosen Bungalow brachte er die Reste des Wagens zum Stehen, sprang hinaus und begleitete die Kommissarin zur Vorgartenpforte.
Auf einem versilberten Klingelschild las die Kommissarin: „Maisonette Fritz“. Als sie auf den Knopf drückte, ertönte im Hausinneren die Melodie von „Süßer die Glocken nie klingen“. Über ihrem Kopf hörte Gisela Güzel eine Kamera surren.
„Die Frau kann reinkommen“, nuschelte es aus der Gegensprechanlage.
Gisela Güzel zwinkerte Heinz Coin verschwörerisch zu und sagte: „Wenn ich in einer Viertelstunde nicht wieder draußen bin, alarmieren Sie sich bitte selbst.“
Sie ging durch ein Spalier von Gipsbüsten mit dicken Titten. In der Haustür stand ein schnurrbärtiger Mann im violetten Brokatmantel. An seinen riesigen, verhornten Füßen trug er Seidenpantöffelchen mit Zierkirschenapplikationen und im Gesicht eine Fratze, die er möglicherweise für ein gewinnendes Lächeln hielt.
„Heroinspaziert, Schwesterchen!“, scherzte er. „Ist das nicht ein Wetterchen zum Eierlegen und Heldenzeugen? Aber je später der Abend, desto hübscher die Bräute.“
Gisela Güzel holte tief Luft und trat ein. Im Flur wimmelte es von Pin-ups, angebrochenen Schnapsflaschen und verschnörkelten Sperrholzantiquitäten. „Alles original Barock! Achtzehnhundertzwanzig. Louis-quatorze!“, gneibelte der Connaisseur. „War nicht billig. Hab auch Betten von diesem Kaliber. Darf’s vorher noch was zu süffeln sein? Ich hätte da eine Kanne 61er Château Lafite Rothschild Pauillac. Hat mich ’n schlappen Tausi gekostet. Hier geht’s lang.“
Er zeigte in ein gobelinbepfropftes Boudoir, das von einer ausgebauten lammfellbespannten Ford-Taunus-Rückbank beherrscht wurde.
Bernd Fritz setzte sich. Er zog die Hosenträger, mit denen das Fell an der Bank befestigt war, schnalzend stramm, klopfte auf den freien Platz neben sich und sagte: „Komm, Frau. Sitz.“ Dann zerrte er an einer Kordel, die von der Decke hing.
Sofort erschien ein leicht geschürztes Girl in Gelb.
„Bring uns mal den guten Roten, Sylvie“, sagte Bernd Fritz und zwinkerte. „Und danach hast du frei. Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen . . .“
Gisela Güzel zog es vor, sich im Stehen zu unterhalten. „Güzel“, sagte sie. „Kriminalpolizei. Einer Ihrer Kunden ist entführt worden.“
„Dann wollen wir doch mal hoffen, dass er vorher seine Rechnungen bezahlt hat! Wie heißt denn der Knabe?“
„Küng, Hans. Christ und Publizist. Sagt Ihnen das was?“
Bernd Fritz erbleichte. „Mein bester Kunde! So viel wie an den hab ich sonst nur an Bischof Dyba verkloppt! Was glauben Sie, was da jede Woche rausging!“
Die Bedienstete huschte wieder ins Zimmer. Das musste die Weinreinbringerin sein. Bernd Fritz spitzte die Lippen. „Die Frau in Weiß haben wir gesehen und die Schwarze Witwe“, flötete er, „den Blauen Engel und Woman in Red. Wir wollen nicht länger das Gleiche in Grün. Wir wollen das blaue Wunder: das Girl in Gelb.“ Er versenkte seinen Blick in Gisela Güzels Ausschnitt. „Oder was meinst du dazu, Mädel?“
Gisela Güzel sagte nichts, und die junge Frau huschte wieder hinaus.
Der Slip-Onassis legte nach. „Letztes Jahr in Venedig hat sie sich auf der Biennale im deutschen Pavillon in Rapsöl und geseihten gelben Blütenpollen gewälzt. Im Evaskostüm. Wie Gott sie schuf. Das putzte ungemein . . .“
„Zeigen Sie mir Ihre Kundenkartei freiwillig?“, fragte Gisela Güzel. „Oder muss ich Verstärkung holen?“
„Wenn die so gebaut ist wie du, kannst du von mir aus eine ganze Hundertschaft kommen lassen.“ Der erregte Wäschehändler setzte sich die Karaffe an den Hals und gulpte den Rotwein in sich hinein. „Prost, Frau Kloppenbusch!“, hechelte er und wischte sich über die Lippenlappen. „Wein muss atmen!“
„Ich auch“, sagte Gisela Güzel und ging.
Fortsetzung morgen
Vorabdruck aus Droste/Henschel: „Der Mullah von Bullerbü“. Edition Nautilus
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