: „Golf ist echt cool, ey“
Seit 1990 sind in der ehemaligen Golfdiaspora Berlin Plätze im Überfluss entstanden. Jetzt lochen Randgruppen ein: Volxgolf-Aktivisten, Müllmänner, Bundeswehrsoldaten und Flüchtlingskinder
von den Hauptstadt-FairwaysBERND MÜLLENDER
Das hat Eberhard Diepgen, Berlins Regierender, damals richtig gut gemacht. Bei der Olympiabewerbung zügig Fakten schaffen und das Stadion der Weltjugend mitten in der Stadt flott abreißen lassen. Protzige Olympiaarenen sollten hier hin. Wie wir wissen, wurde daraus nichts. Aber durch den Kahlschlag ist, auferstanden aus Ruinen, ein einmaliges Sportgelände entstanden.
Rostende Zäune, eine heruntergekommene Brachfläche, dazu ein karges Containerbüro: Die Golfanlage im Berliner Bezirk Mitte, mitten im Wohngebiet, kaum drei Kilometer vom Reichstag entfernt, hat in der Tat eine mäßig typische Atmosphäre. Dafür kann hier jeder auf Driving Range und Kunstrasengrün über, Schlägerleihe eine Mark pro Stück. Regelmäßig kommen in der Mittagspause eine Gruppe Müllmänner und ein CDU-Bundestagsabgeordneter.
Heute sind auch die unvermeidlichen Japaner hier, in Gruppenstärke sogar. Eine junge Ärztin aus der Charité übt vor sich hin: „Wenn man keine Ansprüche hat, ist es okay hier“, sagt sie, „dem Schwung ist das Ambiente egal.“ Weiter hinten ist Turnstunde: Zwei Dutzend Kinder stehen Arme rudernd im Halbkreis und schütteln die Beine aus. Einer prügelt wild auf die ersten Bälle ein. Ein Ball hebt wirklich ab. Der Junge auch: „Geil, ey. Haste jesehn, ey?“
Golf wider alle Klischees. Freies Jugendtraining. Wer kommt macht mit. Kosten tut es nichts. Die Golflehrer sind Freiwillige wie der Wirtschaftsingenieur und Hobbygolfer André Flamann (34). Er macht das „selbstverständlich unentgeltlich, weil es so viel Spaß macht mit den Kleinen“. Flamann mag Golf „als Sport und Herausforderung, nicht als Charakterdefinition oder aus Statusgründen. Davon sollen die Kinder was abbekommen. Und zwar frühzeitig.“
Heute hat Flamann gerade Brian (7) zwischen. „Erst mal ohne Ball.“ Probeschwung. „Gut so, genau.“ Dann mit Ball. Wusch. Und vorbei gehauen. Der nächste Ball hoppelt schon los. „Prima, ich hab getroffen“, jubelt der Steppke.
Papa Petja Homfeld (44), arbeitsloser Bahnarbeiter und Gelegenheitsmusiker, grinst stolz. Er gehört nicht eben zur gewohnten Golfklientel, was auch sein Outfit aus Leinenturnschuhen und verwaschenem Hawaiihemd unterstreicht. „Ich hab dit neulich im Fernsehn jesehn“, berichtet er, „dufte Sache, Golf. Da wollten wir dit mal probiern.“ Brian trifft schon wieder. Der Papa ist „echt vonne Socken, toll.“
Flamann ist Golfer mit bunter Karriere. Beim KGB hat er vor zehn Jahren angefangen, dem basisorganisierten Kreuzberger Golf-Bund (Clubmotto: „Nehmt den Reichen ihren Sport weg“), der in Eigenregie in öffentlichen Parks Nachtgolfturniere veranstaltete (mit Grableuchten als Bahnmarkierung und Autoreifen als Ziel). Dann initiierte Flamann mit anderen den Albatros Golfclub e.V. und „die Idee der Volxgolfbewegung“ mit heute über 200 Mitgliedern, aber ohne millionenschweren Platz.
Wenn die Albatrosse in normalen Clubs Gast spielen wollen, gelten sie als seiteneinsteigende Nassauer und sind nicht gerade mit Begeisterung gesehen. Aber auch das hat sich in den vergangenen drei Jahren gebessert, sagt Flamann. Die Clubs sind froh um jeden Gast, denn der bezahlt 50 bis 100 Mark Spielgebühr.
Berlin hat heute Golfplätze im Überfluss. 1989/90 legten Investoren in Goldgräberstimmung los. Ein Areal geriet protziger als das andere. 16 Anlagen gibt es. 1990 waren kaum tausend Spieler registriert; heute sind es gut 10.000. Die Steigerungsraten von 10 bis fast 20 Prozent pro Jahr liegen „weit über Bundesdurchschnitt und vollends über den Erwartungen“, freut sich Roderich Wegener-Wenzel, Sprecher des Golflandesverbands. Aber der ganz große Schub blieb bislang auch durch Regierungsumzug und die vielen neuen Verbände, Institutionen und Firmensitze aus. Zum Vergleich: Im Großraum München zählt man an die 100.000 Golfer.
Die Bauinvestitionen indes haben sich bislang kaum gerechnet. Kreditrahmen sind ausgeschöpft. Der Verband weiß um ständige „Wechsel im Bereich des Clubmanagements“, aber: „Daran haben wir uns schon gewöhnt.“ In der Golfplatzgastronomie ist die Fluktuation oft höher als der Umsatz. Der Pächter der edlen Anlage in Motzen war glücklich, als er die feine Clubhausküche erfolgreich mit einer Behördenkantine tauschen konnte.
Golf hat in der Stadt Berlin keine Geschichte und im Ostgürtel ringsum schon gar nicht. Wer mit Golfausrüstung U-Bahn fährt, wird von den Einheimischen, die in ihrer berlinerischen Weltläufigkeit angeblich nichts überrascht, angeglotzt wie ein Außerirdischer und hört Kommentare der Art: „Papa, was hat der Mann da? Sind das Gewehre?“
Die Plätze wurden im Hauptstadtfieber am Bedarf vorbei gebaut; anders als in Westdeutschland, wo immer dann ein Platz neu entsteht, wenn Nachfrage da ist. Nach zehn Jahren funktioniert die Marktwirtschaft jetzt auch in Berlin, allerdings andersherum: mit sinkenden Preisen. Schnäppchen überall: Schnupperkurse auf Discountniveau, Greenfee-Wochenpauschalen und billige Studentenmitgliedschaften für Spieler fast im Emeritiertenalter. Prinzip Hoffnung: Erst anlocken und das Golfvirus auslösen. Dann die Mitgliedschaft.
Wenn die Kids von Mitte gut am Ball bleiben (und viel sparen), landen sie vielleicht irgendwann in Bad Saarow am Scharmützelsee, dem anderen Berliner Golfextrem. Gut einen Stunde östlich der Stadt wirbt am Ortsrand ein mächtiges Schild: „Willkommen in einer neuen Welt“. Rekordverdächtige 300 Millionen Mark hat diese Kunstwelt aus Jachthafen, Bollettieri-Tennisakademie, Reitstall, Kempinski-Fünfsternehotel, Heliport und Luxusapartments gekostet. Die beiden Golfmeisterschaftsplätze sind wie mit der Nagelschere gepflegt. Alles todschick, weitläufig, demonstrativ edel. Einzig die Postadresse will nicht recht passen: Friedrich-Engels-Damm.
1998, gesteht Geschäftsführerin Ulli Haselsteiner, „drohte hier alles den Bach runterzugehen, man hatte überall viel zu viel erwartet, auch hier“. Rolf Urben, in der Geschäftsleitung im Bereich „operative Führung“ tätig, weist darauf hin, dass an Wochenenden die Fairways manchmal übervoll seien. „Wir bauen gerade einen dritten Platz, weil wir“, grinst er, „halt so leer sind.“
Normalerweise refinanzieren Clubmitglieder (im Schnitt 600 bis 700) Bau und Unterhaltung einer Golfanlage, hier sind es betuchte Hotelgäste. „Das Hickhack in anderen Clubs machen wir nicht mit“, sagt Urben, kein Discountgolf, keine Tricksereien. Mit „anständigen Preisen“: Knapp 1.000 Mark kosten Übernachtung und Golfen pro Wochenende für zwei Personen im Resorthotel. Volxgolf der anderen Art. Volx de luxe. Die wenigen Mitglieder sind eine Randgruppe in Bad Saarow. Clubleben ist zweitrangig, Jugendarbeit ebenso. Es sei aber, sagt Urben, „noch ein harziger Weg, bis die Übung hier abgeschlossen ist.“ Ende August fanden in Bad Saarow die Amateurweltmeisterschaften statt. Erstmals in Deutschland. Zuschauer kamen nur wenige.
Der Großraum Berlin hat eine einmalige golferische Vielfalt für sehr unterschiedliche Zielgruppen. Dies belegt: Golf ist viel heterogener als gedacht. Da ist das familiäre Mahlow mit Spielbahnen neben der Bahnlinie, einer Bretterbude als Clubhaus und hausgemachtem Kuchen. In Seddin wird man Mitglied und Miteigentümer durch Aktienerwerb. In Wannsee, erste Adresse für Berlins Geldadel, werden über neue Bewerber Charakterinformationen eingeholt. Oder Phoeben bei Potsdam: Den Platz ließ ein golfverrückter Orthopäde aus dem Wedding bauen, der schon Ende der Achtzigerjahre fast beinahe zum Investor auf Arbeiter-und-Bauerngrund geworden wäre. Devisengeile DDR-Funktionäre hatten ihm Liegenschaften zum Kauf angeboten – in den Parks von Sanssoucis und Schloss Babelsberg.
In Gatow wird mitten in der General-Steinhoff-Kaserne gegolft, im militärischen Sicherheitsbereich: An der Wache ist der Personalausweis abzugeben, und man wird gemahnt, den Golfplatz nur „auf direktem Weg gemäß Zufahrtsskizze“ anzusteuern. Mit etwas Glück trifft man dort dann, so die Clubwerbung, auf die „Neigungsgruppe Golf der Bundesluftwaffe“ und hört vielleicht einen Golf-Uffz befehlen: „Einlochen, Herr Gefreiter! Für ein Par haben Sie vier Schläge frei.“ – „Jawoll, Herr Feldwebel, und jetzt nur noch drei.“
Früher tummelten sich hier britische Soldaten. Ein abgelegener Seitenflügel des Clubhauses belegt dies wie eine Reliquie aus ewig vergangenen Zeiten: Großer angelsächsischer Billardtisch, mit feinem Tuch würdig bedeckt, rundherum an den Wänden dunkelhölzerne Ehrentafeln. Sergeant Hunnisett hatte zuletzt die Murray Trophy erputtet, die Pegasus Trophy räumte Corporal Logue ab. Titelverteidigung ausgeschlossen: Alle Pokale wurden 1989 das letzte Mal ausgespielt. Heute gilt Gatow als erste Adresse der Botschafterszene; für Diplomaten werden, teilt der Club mit, „aus Dankbarkeit gegenüber den Allierten Gastspielrechte bereit gehalten“.
In Mitte, auf dem proletarischsten Golfplatz Deutschlands, ist das Jugendtraining derweil beendet. Brian kriegt das Leuchten nicht mehr aus den Augen: „Toll? Es war su-per-su-per-toll!“ Sein Freund Marvin: „Ich bin bis zur gelben Fahne gekommen und hab richtige Blasen!“ Und der Kleinste, Felix, flötet durch seine mundbreite Zahnlücke den unvermeidlichen Satz: „Golf ist echt cool, ey.“ Zwei bosnische Mädchen klagen, dass sie jetzt vier Tage warten müssen bis zum nächsten Training. „Warum ist das nicht jeden Tag?“
Stefan Hamblin-True, 41, Psychotherapeut, ist einer der anderen ambitionierten Golflehrer. Er sagt: „Das erleben wir hier jede Woche: volle Begeisterung bei den Kids. Viele kommen immer wieder wie die Flüchtlingskinder von schräg gegenüber. Die Eltern sind froh, wenn sie sie hier zwei Stunden abliefern können. Manche können kaum Deutsch, aber das lernen sie hier beim Golfspielen gleich dazu. Und das klappt richtig gut. Golf ist hier auch Sozialarbeit.“
André Flamann nennt es „Beschäftigungstherapie mit Schläger“ und erzählt von der Initiative Golf für Freigänger: „der angebliche Sport der Alten und Reichen als Mittel zur Resozialisierung für Knackies.“ Man wolle die Idee jetzt mal vorantreiben. Diepgen darf sich über vorbildliches Engagement freuen.
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