: Brasiliens Neonazis verschicken Bomben
Mitarbeiter von amnesty international flieht nach fünf Anschlagsversuchen ins Ausland. Auch Schwule im Visier
SÃO PAULO taz ■ Die rechtsextreme Skinheadszene São Paulos terrorisiert mit Briefbomben und Drohbriefen MenschenrechtsaktivistInnen und Schwule. Am Dienstag erhielt José Eduardo Bernardes da Silva eine Briefbombe, die die Polizei entschärfen konnte. Der 40-jährige Sportlehrer ist ein führender Mitarbeiter von amnesty international (ai). Bereits vor einem Jahr hatte er im örtlichen ai-Büro eine Bombe entdeckt. Nach weiteren Drohungen musste das Büro im März schließen.
Silva berichtete von telefonischen Morddrohungen in vier Sprachen. Die Anrufer prahlten mit „starken internationalen Verbindungen und mächtigen Förderern in Brasilien“. Silva entkam bereits drei Anschlagsversuchen auf offener Straße. Auf Rat der Londoner amnesty-Zentrale verließ er das Land.
Das Attentatversuch auf den Menschenrechtler ist Teil einer Offensive, die Neonazis zum Unabhängigkeitstag Brasiliens am vergangenen Donnerstag angekündigt hatten. Zwei Politiker der Arbeiterpartei PT, die Menschenrechtskommissionen leiten, sowie Sicherheitsdezernent Marco Vinício Petrelluzzi erhielten Drohbriefe mit rechtsextremen Symbolen. Darin heißt es: „Wir haben uns organisiert, um ab dem 7. September Brasilien zu befreien. Wartet auf uns, denn die Säuberung wird beginnen.“ Die Autoren, die sich selbst als Skinheads der Gruppe „Reine Rasse“ bezeichneten, „kämpfen für das Ende der Homosexuellen, Schwarzen und der Leute aus dem Nordosten.“
Am Mittwoch erhielt Roberto de Jésus, ein Organisator der populären Schwulenparade, eine Briefbombe gleicher Bauart. Auch er berichtet von regelmäßigen Todesdrohungen: „Der Anrufer sagt immer, wir seien eine Bande von Aidskranken.“ Im Februar war ein Schwuler im Stadtzentrum von Skinheads zu Tode getrampelt worden. Das Verfahren gegen 18 Verdächtige läuft noch. Sie müssen mit bis zu 50 Jahren Gefängnis rechnen.
Die Attacken sind nur die Spitze eines Eisbergs. Nach einer Studie der „Schwulengruppe Bahia“ wurde in den letzten zwölf Jahren in Brasilien alle drei Tage ein Homosexueller ermordet. Nur fünf Prozent der Fälle wurden aufgeklärt. Immerhin richtete die Polizei von São Paulo eine Spezialeinheit zur „Repression und Analyse von Intoleranz-Vergehen“ ein.
Die Neonazis sind in São Paulo seit Anfang der Neunzigerjahre aktiv. Sie scheinen in Kleingruppen organisiert zu sein und verbreiten ihre Propaganda über Flugblätter und das Internet. Die Behörden haben mindestens fünf Gruppen ausgemacht, aus deren Umfeld heraus Straftaten begangen worden sind. Brasiliens Justizminister José Gregori zeigte sich „sehr besorgt“ und sagte Hilfe der Bundespolizei zu. In London kritisierte der amnesty-Verantwortliche für Lateinamerika, Javier Zúñiga, die Untätigkeit der Behörden. In einem Drohbrief der Skinheadgruppe „Antichaosfront“ sei angedeutet worden, dass ihre Mitglieder Informationen von Polizisten erhalten hätten. GERHARD DILGER
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