piwik no script img

Positiv abgetanzt

Die neue Revue im Friedrichstadtpalast eilt mit viel Schwung, aber ohne Gedanken durchs letzte Jahrhundert

Als die neunzehnjährige Josephine Baker im Herbst 1925 zum ersten Mal in Paris auftritt, steht die ganze Stadt Kopf. Jean Cocteau, Gast der Premiere der „Revue nègre“, nennt sie ein „Idol aus dunklem Stahl und Bronze, Ironie und Gold“. Braune Haut kommt genauso in Mode wie mit Eiweiß an den Kopf gegeltes Haar; „La Baker“ wird zum Inbegriff der selbstbewusst-emanzipierten Frau der Zwanziger.

Wenn ein Josephine-Baker-Imitat von nun an täglich außer montags im Friedrichstadtpalast tanzt, insgesamt etwa 260 Mal bis zum nächsten Juli, dann schauen jedesmal vermutlich anderthalbtausend Leute zu. Sie sehen eine hellhäutige Tänzerin in Goldbananen, der die Kostümbildnerin artig die Brust abgedeckt hat. Dazu eine Menge Girls in glitzernden Fräcken, die schwarze Musiker darstellen und deswegen schwarze Gummimasken im Gesicht tragen. Es sieht aus wie für einen Raubüberfall. Ein knappes Dutzend Gestalten in raschelnden Ganzkörperkostümen und schweren Holzmasken schwankt dahinter hin und her: das Andere, das Fremde.

Zur neuen „Revue Berlin“ des Friedrichstadtpalastes, der „getanzten Geschichte dieser großen Stadt“, gehören nicht nur die Einflüsse aus dem Paris der Zwanzigerjahre. Auch zwei Weltkriege und eine Mauer wollen untergebracht sein. „Der Faszination des Bösen sind wir nicht ausgewichen“, ließ Autor und Regisseur Jürg Burth dazu auf der Pressekonferenz verlautbaren. Intendant Alexander Iljinskij gefiel die Formulierung. Geschichtsunterricht könne man nicht erteilen, fügte er hinzu. Und: „Lassen Sie es uns bitte mit den Mitteln machen, die diesem Theater adäquat sind.“

Ach, der geschichtsfreie Tanz über die Geschichte der Stadt! Das ist ja lieb. Im Friedrichstadtpalast läuft der gewohnt pompöse Bilderbogen ab: Mit mehr als hundert Mitwirkenden auf der Bühne, über siebenhundert Kostümen, mit Artisten, Aquarium und Wasserballetteusen und einem echten Auto auf der Bühne. Ein Trabi, versteht sich. Man sitzt im Parkett und denkt, wie schön es doch war. Die Care-Pakete, die mit Laserstrahl vom Himmel schaukeln. Die Golden Twenties. Die blöden Achtziger. Und natürlich die Olympischen Spiele 1936. Was für ein Glanz!

Vom Himmel blickt Cäsar, und die Girls zücken die nackten Beine. Wehe, wenn doch der Tod nicht wär'. Der kommt und schmeißt die ganze, schöne, goldene Welt einfach um. Urplötzlich. Was für ein Jammer. Nach der Pause wird alles wieder gut. Die Besatzungszeit als groß angelegtes Tanzfest. Mit den adäquaten Mitteln des Friedrichstadtpalastes. Franzosen, Briten, US-Amerikaner und Russen schmücken die Bühne auf mehreren Etagen. Und so weiter.

Diana Böge, Kinga Dobay, Klaus Seiffert und Grant Newsome, die sich als Solisten durch das Jahrhundert singen, mühen sich redlich. Besonders die aus Siebenbürgen stammende Kinga Dobay, munter und kirschenfrisch, wird sicherlich rasch die Herzen der Zuschauer gewinnen. Wer Buntes sehen will und dazu laute Musik, die auch schon mal recht schmissig wird (Komposition/musikalische Bearbeitung: Niclas Ramdohr), ist im Friedrichstadtpalast gut aufgehoben. Wer ein wenig zur Xenophobie neigt, gern an unglückliche Zufälle und das gute Ende aller bösen Geschichten glaubt, auch. „Mit positiver Aussage und Hoffnung soll das Publikum das Theater verlassen“, sagt Burth. Das wird es sicherlich gern tun. Dafür kommen die Leute ja auch.

CHRISTIANE TEWINKEL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen