NACH DEN SANKTIONEN IST VOR DEN SANKTIONEN: Lehren aus der „Causa Österreich“
Die Entscheidung der 14 europäischen Staaten in Bezug auf Österreich war als politisches Signal legitim und notwendig. Auch der Bericht der „drei Weisen“ widerspricht dem nicht. Gefehlt hat jedoch eine „Exit-Strategie“ – also eine Definition der Ziele und Bedingungen, die ein Ende der Maßnahmen rechtfertigen. Die „drei Weisen“ empfehlen daher „nachdrücklich“ ein „Präventiv- und Überwachungsverfahren innerhalb der EU“.
Die Entwicklung der EU von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft beendet die Europapolitik als Teil der Außenpolitik; sie ist heute europäische Innenpolitik. Kein EU-Land kann ignorieren, wenn fremdenfeindliche und rechtsradikale Parteien in einem anderen Mitgliedsland an der Regierung beteiligt werden und im Ministerrat bei der europäischen Gesetzgebung mitwirken.
Wie jedoch der Fall Österreich gezeigt hat, sind die bisherigen Instrumente unzureichend: Artikel 7 des EU-Vertrags verlangt gravierende Verstöße gegen die Grundwerte der Union, um bestimmte Rechte eines Mitgliedsstaates auszusetzen. Diese „Keule“ war jedoch im Falle Österreichs ungeeignet, ging es doch nicht um die Ahndung justiziabler Verletzungen, sondern um ein politisches Signal. Wir brauchen differenzierte Instrumente, damit schnell und präventiv reagiert werden kann. Die laufende Regierungskonferenz bietet eine Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen.
Die Konturen eines zweiphasigen Verfahrens könnten so aussehen: 1. Schon bei dem begründeten Verdacht eines drohenden Verstoßes gegen die gemeinsamen Grundwerte kann der Rat einstimmig (ohne den betreffenden Staat) – nach Anhörung des Landes – eine Stellungnahme und gegebenenfalls Empfehlungen abgeben. Er kann die Kommission beauftragen, einen Bericht über vorliegende oder drohende Verletzungen zu verfassen. Auf dieser Grundlage kann der Rat die betreffende Regierung nach deren Anhörung einstimmig auffordern, innerhalb einer festgesetzten Frist geeignete Maßnahmen zur Beseitigung drohender Gefahren zu ergreifen. Die Kommission unterrichtet das Parlament und den Rat über die Entwicklung. Das Verfahren kann nach Fristablauf mit der Feststellung des Rates enden, dass eine Gefährdung der Grundwerte nicht mehr besteht. 2. Sollte aber ein gravierender Verstoß vorliegen, stellt der Rat dies einstimmig fest. Auf Initiative der Kommission beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit und unter Mitbestimmung des Europäischen Parlaments, bestimmte Rechte des betreffenden Landes auszusetzen und die Entwicklung zu beobachten. Dies könnte von der Streichung bestimmter finanzieller Ansprüche (beispielsweise bei der Strukturfondspolitik) bis hin zur Aussetzung der Stimmrechte im Rat bei einzelnen Politikbereichen gehen. Nach gleichem Verfahren können Rat und Parlament zu einem späteren Zeitpunkt eine Verschärfung, Abschwächung oder Aufhebung der Maßnahmen beschließen. Der betreffende Mitgliedsstaat erhält ein Anhörungs- und ein Klagerecht beim EuGH.
Die Vorteile: Die Maßnahmen der ersten Phase können schnell und präventiv beschlossen werden. Es bleibt Spielraum für eine politische Reaktion, ohne dass bereits ein ganzes Eskalationsszenario in Gang gesetzt wird. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass bereits eine Warnung oder Empfehlung des Rates Wirkungen zeitigt. Die erforderliche Einstimmigkeit verhindert eine politische Instrumentalisierung. Dieses Verfahren würde die Debatte auch wieder in die zuständigen politischen Gremien (zurück-)verlagern und sie nicht an vermeintlich objektive „weise“ Expertengremien delegieren. Bei anhaltenden Verstößen greift in der zweiten Phase – unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments und des EuGH – ein rechtsförmiges Sanktionsinstrumentarium, das durch differenzierte Maßnahmen eine abgestufte Eskalations- oder Deeskalationsstrategie ermöglicht.
Ein solches Verfahren mit einer explizit politischen Komponente bietet eine Antwort auf das absehbare Glaubwürdigkeitsdilemma der EU. Die Entstehung rechtsradikaler Orientierungen verhindert es allerdings ebenso wenig, wie dies ein etwaiges Parteienverbot tun würde. Aber es könnte ein Beitrag zur Verteidigung der Grundwerte sein – und auch ein Beitrag zur Politisierung der Europapolitik. CHRISTIAN STERZING
Der Autor ist grüner Bundestagsabgeordneter, europapolitischer Sprecher und Mitglied des Fraktionsvorstandes.
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