nachts in der dybar von WIGLAF DROSTE:
Es gibt einige schöne Bars in Berlin, die „Bar jeder Hoffnung“ zum Beispiel, die „Bärchen-Bar“, die „MiniBar“ oder „Mean’s Motel“, die Enklave des guten Stils im stillosen Moabit. Die schönste aller Bars aber ist die „Dybar“. Sie ist noch ziemlich neu, sie liegt gut versteckt, und weil ich keinen Ausgehschreiberkopf spazieren trage, werde ich nicht verraten, wo. Es soll ja noch länger schön sein und bleiben.
Nur so viel: Ausgeheckt und aufgemacht hat die „Dybar“ Jan-Michael Richter, den man vor allem unter seinem Zeichnernamen Jamiri kennt. In seiner Parallelexistenz als Halb-Wirt hat Richter gemeinsam mit Beate Kleinschmidt und Frank David in Essen-Frohnhausen ein verlässliches Bollwerk gegen die um sich greifende New Gastronomy errichtet – das „Haferkamp“. Wer etwas über die Dinge des Lebens wissen will, von denen das Trendbüro Horx garantiert niemals etwas ahnen wird, möge Jamiris neuen Laden aufsuchen:
DYBAR leuchtet es rosa in die Nacht, ein verheißungsvolles COCKTAILS AND „MORE“ in Blau komplettiert die Neonbeleuchtung am Eingang. Das Interieur erinnert an die unzähligen Lokale namens „Why not?“, die es früher in fast jeder Stadt gab und die seelenlosen Schischiläden weichen mussten. In der „Dybar“ werden sie noch einmal zum Leben erweckt: Hinter den Nebeln großzügig verzehrter Rauchwaren lässt sich schlichte Eleganz ausmachen. Man spürt sofort, dass man einen Klassiker betritt, und erweist entsprechend Respekt. Die Bedienung ist männlich und auf uneinschüchternde Art gut aussehend. Als nadelstichkleiner Kontrapunkt zur Freundlichkeit dieser Gastwirtschaft hängt über dem Tresen das Bild „Der lächelnde Bischof“ von Goya.
Der Barmann serviert mit traumhaft unmerklichen Bewegungen Cocktails, die „Ministrant“ heißen, „Novize“ oder „Johannes’ letzter Wille“. Seltenen Irrläufergästen, die es dumpf und deutlich brauchen, schenkt der Barkeeper lächelnd ein Glas „Fuldaer Seifenbückling“ ein. Die ihn tranken, kamen bisher nicht wieder. Auf die in Angeberclubs üblichen Knabberschälchen mit Viagra verzichtet die „Dybar“ selbstverständlich. High, heilig und heimelig wird die Stimmung, wenn DJ Popo zu Ehren des seligen Namensgebers Militärbischöflich-Liturgisches auflegt, leise natürlich, zum Versenken und Versinken. Die Barbarei der Vollbeschallung ist hier ausgesperrt. Laut ist allein der allmorgendliche Rausschmeißer: Simone Borowiak und Hans Kantereit, zwei Fördermitglieder der „Dybar“, schicken die Hausband ins Rennen: Dybas Witwen, drei nicht allzu sorgfältig rasierte Herren in pinken Kleidern, die herzzerreißend katholisch singen können, so offensichtlich und so gottvoll verlogen, wie nur Anhänger dieses speziellen Aberglaubens das vermögen. Wenn die Haushymne erklingt, sind es vor allem die älteren Besucher, die sich des Mitsingens nicht erwehren können: „Importierte Lustknaben, ja ja ja / die will ich alle haben, ja ja ja / je importierter, desto besser / ich bin der große Knabenfresser.“
Dann gehen alle nach Hause und haben süße Träume.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen