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Eindeutig zweideutige Posen

Feministin im Designerkleidchen, Polittexte zu Elektropop: Die Hamburger Band Stella und ihre Sängerin Elena Lange wollen keinem Klischee gerecht werden. Mit ihrem neuen Album geben sie sich nun betont tanzbodenkompatibel. So verdient man sich den Titel „Glampolitikum der Indiewelt“

von ALEX BOHN

Wenn Rage Against The Machine bei den letztwöchigen MTV Music Video Awards im Anschluss an ihren Auftritt die Bühne kurz und klein kloppen, kann man geteilter Meinung sein, was den Sinn einer solchen Aktion angeht: Ist das nun bloß zur Pose geronnener Protest oder vielmehr eine Geste – ein minimaler, zur Schau getragener Frustrationsausbruch als Fingerzeig, dass irgendwas nicht stimmt?

Ähnlich ambivalent kann man der Hamburger Band Stella gegenüberstehen. Die machen erst mal keinen Hehl daraus, dass sie vor allem eines sind: eine ansehnliche Popband. Mit ihrem ebenso wunderbaren wie schwer verdaulichen Indie-Elektropop haben sie nicht erst seit gestern einen einigermaßen festen Sitz im Olymp des deutschen Indierock erobert. Aber was ihre Komplizenschaft mit hübsch hübschem Zeitgeist auf den ersten Blick vielleicht zu kaschieren vermag: Stella verstehen sich eben auch als kritisch politisch.

Dass Stella eine Meinung zu vertreten gedachten, daran ließen sie bereits auf ihrem 1998 erschienenen Debütalbum „ExtraLife“ keinen Zweifel. Damals noch als Dreiercombo unterwegs, warteten sie mit schwer elektronischen, samplelastigen Indiepop-Interpretationen auf, die in Indie-Kreisen ebenso emphatisch bejubelt wie beredt kritisiert wurden. Ausschlaggebend für das hohe Maß gegensätzlicher Stimmen war nicht zuletzt Frontfrau Elena Lange, deren Auftritt als selbst proklamierte Feministin im Designerkleidchen so recht keinem Klischee gerecht werden wollte: weder Zuckerpüppchen noch Rotzgöre, streitbar, zickig, eigen. Sie scheint auch weiterhin bereit, sich mit ihrem Anliegen aus dem Fenster zu lehnen, ohne Rücksicht auf die Vorlieben einer angenommenen Hörerschaft: „Ich bin jemand, der gerne Risiken eingeht. Ich will den Leuten ja nicht nach dem Mund reden, damit das besser bei denen ankommt. Was einem wichtig ist, muss gemacht werden“, sagt die halb jugoslawisch-, halb deutschstämmige Sängerin. Für das neue Album „Finger On The Trigger For The Years To Come“ (L’Age d’Or) hatte ein Thema klare Priorität für sie: der letztjährige Jugoslawienkrieg oder, wie sie es formuliert, der Nato-Krieg. Die Texte wechseln zwischen dem persönlichen Konflikt, sich als Angehörige zweier Nationen zu fühlen, die im Krieg miteinander stehen, und einer mehr generalistischen Kriegskritik und Aufforderung, politisch wachsam zu bleiben und sich verantwortlich zu fühlen: „wait for the sirens / you cannot miss them“, heißt es dazu im Titelsong des Albums.

Persönliche Betroffenheit hin, Tatsachen her: Legt ein solcher Text nicht die Frage nahe: Was soll das? Ist das einfach ein weiterer Versuch der Bewusstseinsschärfung einer Hörerschaft via Indierockpop? Wir schreiben das Jahr 2000, Politikverdrossenheit gilt als Wort der Stunde, und wenn es überhaupt noch einen Ort gibt, an dem eine grundsätzliche Wertedebatte geführt wird, dann liegt der bei etwa 15.30 Uhr und nennt sich wahlweise „Arabella“, „Bärbel“ oder „Fliege“. Warum setzt man als Band bzw. Künstlerin in einer solchen Situation auf Texte mit politischem Gehalt? „Aufklärung im agitatorischen Sinne ist das überhaupt nicht“, meint Elena Lange. „Man kann über den Nato-Krieg eben auch einen Poptext machen. In den 80ern gab es schließlich auch Billy Bragg oder die Gang Of Four, die solche Dinge dramatisch oder humorvoll analysiert haben. Die Leute, die sich für Popmusik interessieren, interessieren sich immer auch für die Texte und für das, was die Band so will.“

Klar – Stella wissen, dass klar ausgesprochene Wahrheiten eher schnell als langsam auf taube Ohren stoßen, umso mehr, wenn es sich um Themen handelt, die Gegenstand der Schlagzeilen des letzten Jahres waren. Stellt sich die Frage nach einer Form, die sich als Träger eignet. Stella bedienen sich gerne Metaphern; viele ihrer Texte deklarieren nicht klar einen Sachverhalt, sondern lassen verschiedene Deutungen und Bilder zu. Ablenkung von allzu harter textlicher Kost ergibt sich aber über die Musik: Die soll in erster Linie Spaß machen. „Man soll das Album auch nebenher hören können“, wünscht sich Elena Lange, „Die Musik ist das Vehikel: Man kann dazu tanzen und Spaß haben. Dann schlägt man das Booklet auf und denkt: Das ist ja interessant. Ich will den Leuten einen anderen Blick auf die Dinge ermöglichen. Ihnen Denkanstöße geben zu wollen wäre schon fast zu viel gesagt.“

Musikalisch ist sicher: Es hat sich bei Stella einiges getan: Im Vergleich zu eher schlicht gestrickten Smashhits wie „O. K., Tomorrow I’ll Be Perfect“, der allerersten Stella-Single, scheint anno 2000 alles ausgefeilter, durchdachter, elektronischer, vielstimmiger. Was straighter Indiepop mit Rockappeal war, trägt jetzt dicker auf und verdient sich damit den Titel Glam, wartet mal mit fetten wie sexy Bassläufen auf, um dann wieder eine trockene Bassdrum anklingen zu lassen, gefolgt von einem schlingernden Swingbeat – kurz: Stella sind heute unbestreitbar tanzbodenkompatibel. Da kann man nur gratulieren, denn das ist vor allen Dingen eines: Scheiße clever. Stella haben erkannt, dass eindeutig zweideutige Posen für den Moment mehr erreichen als alle Protestmärsche und Lichterketten der Welt, und dass schöner Schein nicht trügen muss: Sie sind das Glampolitikum der Indiewelt.

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