: Sie kommt, sie kommt nicht . . .
Das Gerangel um die Positivliste für Arzneimittel geht weiter. Auch die Befürworter glauben kaum mehr daran, dass durch sie die gesetzliche Krankenversicherung entlastet würde. Derweil hat „Ökotest“ eine Liste für Naturheilmittel veröffentlicht
von MATTHIAS FINK
Kommt sie oder kommt sie nicht? Schon der ehemalige Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) sagte die Positivliste für Arzneimittel einst zu, dann durfte sie sein Staatssekretär dem Chef eines Pharmaverbandes zerschnipselt zum 60. Geburtstag darbieten. Jetzt hat Rot-Grün eine neue Liste in Planung – nur was auf ihr steht, sollen die Kassen übernehmen dürfen.
Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie sollen, wenn sie nicht den allgemeinen „Urteilsstandards“ entsprechen, nur in einem Anhang der Liste vorkommen. Macht das einen großen Unterschied? „Die Hersteller haben Angst, dass der Arzt nur im Hauptteil der Liste nachguckt“, meint Norbert Schleert, Abteilungsleiter Arzneimittel beim AOK-Bundesvorstand.
Bis Mitte 2001 sollen die Fachleute eines eigens eingerichteten Instituts die Vorschlagsliste fertig haben, dann soll das Gesundheitsministerium Stellungnahmen aus Industrie, Wissenschaft und erstmals auch von Patientenvereinigungen einholen – und die Liste zuletzt noch durch den Bundesrat bringen.
Ob das Werk dann wirklich vollbracht ist, muss sich zeigen. Schon bei dem Anlauf zu Kohl-Zeiten hatten sich die Befürworter zunehmend von dem Argument verabschiedet, mit der Liste könne man die Krankenversicherung entlasten und so die Beiträge senken. Und hatte man nicht nach Protesten von interessierter Seite noch Arzneimittel, etwa Venenmittel, aufgenommen, die zuvor als unvertretbar ausgesondert wurden?
Weil es nun noch so lange dauert, plant das Gesundheitsministerium eine Erneuerung der Negativliste, auf der steht, was auf jeden Fall nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden darf.
Aber dann gibt es ja auch noch den nicht staatlichen Bereich, und der hat das Bedürfnis nach einer „Positivliste“ genutzt. Schon seit 1996 gibt es die „Kieler Liste“, eine abgewandelte Form der „Berliner Liste“ von Ellis Huber, dem einstigen Präsidenten der Berliner Ärztekammer: Die hatte er in dieser Eigenschaft wegen Rechtsstreitigkeiten mit Pharma-Herstellern nicht herausbringen können. In diesem Jahr kam nun als Ergänzung der Kieler Liste eine Positivliste für den Bereich der „besonderen Therapierichtungen“ heraus, veröffentlicht in der März-Nummer der Zeitschrift Ökotest. Erstellt wurde die Liste mit Namen „Notwendige Arzneimittel – Phytopharmaka, Homöopathika, Anthroposophika“ von der Securvita Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH, geleitet wiederum von Ellis Huber. Sie griff dabei auf die Arbeiten einer Expertenkommission zurück, die von der Barmer Ersatzkasse und dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie eingesetzt worden war.
„Ausgegangen sind wir bei der Zusammenstellung von den Medikamenten, die auf der ‚Roten Liste‘ stehen“, erklärt Norbert Schnorbach von der Securvita GmbH, „darauf haben wir die Qualitätskriterien der Expertenkommission angewendet“. Bei anthroposophischen und homöopathischen Medikamenten wurden nur Komplexmittel untersucht, die auch ein Arzt außerhalb dieser Therapierichtungen normalerweise benutzt. „Ein homöopathischer Facharzt hat eine für unsere Zwecke zu große Auswahl an Dosierungen.“
Vergleichende Studien, was mehr oder weniger wirtschaftlich ist, vermisst die AOK an der Liste: Die in Ökotest veröffentlichte Liste dürfe nicht Basis für die Verordnungsfähigkeit werden, empört sich etwa Ute Galle-Hoffmann vom AOK-Bundesverband. „Unsere Liste ist eine reine Empfehlungsliste“, entgegnet Norbert Schnorbach von der Securvita. Manchen Herstellern erschien sie gleichwohl nicht so harmlos, es gab Klagen, auch auf die Liste aufgenommen zu werden. Sogar ein Verbreitungsverbot wurde gegenüber der Hamburger Verbraucherzentrale ausgesprochen, aber da waren schon fast alle Exemplare abgesetzt. Auch in Bibliotheken, die Ökotest führen, kann man sich weiterhin informieren.
Einen Wirksamkeitsnachweis hat Securvita aber nicht geführt – „das sollte kein Listenhersteller auf sich nehmen. Dieser muss dem Verfahren für die Arzneimittelzulassung überlassen bleiben“, meint Schnorbach. Die Barmer plant derweil ein Modellprojekt zum Umgang mit Naturpräparaten in Arztpraxen. „Schulmedizin- und Phyto-Fans kommen in verschiedene Kontrollgruppen“, erklärt Marina Steindor, bei der Barmer zuständig für das Modellvorhaben. Vor allem die Patientenzufriedenheit soll auf diese Weise gemessen werden. „Es ist das einzige Modellvorhaben zu Phytoarzneimitteln, das in Vorbereitung ist.“
Die wissenschaftliche Anerkennung hat aber auch ihre Schattenseiten, denn Untersuchungen können Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten zutage fördern. „Je länger die Nebenwirkungsliste, desto verschreibungspflichtiger“, erwartet Steindor. Da die Selbstmedikation bei den sanften Phytotherapeutika eine beachtliche Rolle spielt, könnte diese Einschränkung dem Absatz schaden.
Wer zugunsten der Phytoarzneien die Sparsamkeit ins Feld führt, kann auch regionale Vergleiche heranziehen. Im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden wurden etwa im letzten Jahr pflanzliche Arzneimittel für 11,32 Mark pro Versicherten verordnet, in Hessen hingegen nur für 4,30 Mark. Südbaden hat indessen bundesweit die niedrigsten Kosten bei den Arzneiverordnungen in der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt. Da liegt der Schluss nahe, dass diese Kosten so niedrig sind, weil so viele pflanzliche Produkte eingesetzt werden.
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