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Protest diesmal leise

Über 10.000 Flughafenausbau-Gegner demonstrierten gegen geplante Landebahn. 112.318 Unterschriften an den hessischen Landtag übergeben

aus Wiesbaden HEIDE PLATEN

So bunt, so diszipliniert, so perfekt organisiert kann Widerstand sein. Statt der erwarteten rund 2.000 Demonstranten zogen am Samstag etwa 10.000 Menschen „für eine lebenswerte Region“ durch die Wiesbadener Innenstadt zum hessischen Landtag. Ihre Forderung: „Keine Flughafenerweiterung – Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr“.

Die Bewegung gegen den Ausbau des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens ist seit den legendären Kämpfen gegen die Startbahn West nicht einfach in die Jahre gekommen. Sie hat sich in den letzten 20 Jahren verändert. Viele Veteranen von einst sind gekommen, der Altersdurchschnitt liegt sicher bei über 40, manche der Parolen und Transparente sehen aus, als hätten sie lange Jahre in den Kellern der Eigenheime überdauert. Da ging unübersehbar der Mittelstand der Region auf die Straße, gemischt mit jungen Eltern und Kindern, amtierenden Bürgermeistern, Gewerkschaftern, Natur- und Umweltschützern.

Auch das unterscheidet die neue Bewegung von der alten: Keine lauten Parolen, die Demonstration ist leise. Nur an den Haltepunkten vor dem Landeshaus und der Ringkirche wird getrommelt und in die Trillerpfeifen geblasen. Und schon klagen einige: „Nicht so laut, bitte!“

Waltraud Rufs Familie wohnt seit zwei Generationen in Rüsselsheim. Sie ist enttäuscht von der Politik. Klaglos habe man in den Jahrzehnten immer wieder die Zunahme des Fluglärms und des Zubringerverkehrs ertragen, der Bluthochdruck stieg, der Tiefschlaf blieb aus: „Das ist wie ein Teppich. Man ist immer wie gerädert.“ Bürgerinitiativen tragen Spruchbänder: „Stille ist ein Geschenk.“ „Nein“, sagt Waltraud Ruf, „Stille sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.“

Die hessischen Grünen legten sich am Samstag deutlich gegen den Flughafenausbau fest. Vorneweg marschierte der ehemalige Landtagsabgeordnete Roland Kern, einst erprobter Startbahngegner, mit dem jungen Nachfolger Tarek Al-Wazir durch Wind und Regen. Fraktionsgeschäftsführer Frank Kaufmann verteilt Flugblätter und nimmt die Schelte gegen die neue Fortschritts- und Technikgläubigkeit der Grünen im Berliner Bundestag gelassen hin. Flughafenausbau sei schließlich Landespolitik.

Das Mediationsverfahren sei „Lug und Trug“ gewesen, sagt BI-Sprecher Michael Wilk. „Wir haben gut daran getan, dem Beschiss fernzubleiben.“ Bürgerinitiativen und Kommunen seien entschlossen, alle juristischen Schritte gegen jede Variante des Ausbaus auszuschöpfen. Man habe jedenfalls mehr Durchhaltevermögen, als die derzeitigen Landesregierung.

Der Zug endet am Landtag mit der symbolischen Übergabe von 112.318 Unterschriften aus den Anrainergemeinden an Landtagsvizepräsidentin Veronika Winterstein. Die versichert: „Ich bin auf Ihrer Seite.“

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