juttas neue welt: Radioaktive Wellen
Meine Freundin Petra E. rast als Radioreporterin durch Berlin. Dabei hat sie immer eine schwere Last zu tragen, nämlich ihr Marantz-Aufnahmegerät, echt robust und gefühlte sieben Kilo schwer. „Mir fällt noch mal die Schulter ab“, schimpfte sie neulich, nachdem sie Sabine Christiansen interviewt hatte. Da tat sie mir doppelt Leid, wobei es interessant zu wissen wäre, ob Frau Christiansen zu einer ihr zu Füßen liegenden Schulter mal etwas zu sagen hätte.
Um Petra E. den Alltag zu erleichtern, beschlossen ihr Freund und ich, ihr zum Geburtstag einen MD-Player zu schenken. Einen Mini-Disc-Recorder könnte sie auf die leichte Schulter nehmen und dann unbeschwert aus der Hauptstadt Bericht erstatten.
Auf der Suche nach dem günstigsten Angebot durchwühlten wir das Internet. Viel zu viele virtuelle Multimedia-Märkte wollten einen echten MD-Player loswerden, und wer einmal anfängt, Preise zu vergleichen, findet so schnell kein Ende. Immer wieder entdeckte einer von uns ein noch billigeres Gerät, und hätte Petra E. nicht eines Tages tatsächlich Geburtstag gehabt, wären wir bestimmt noch auf das Angebot „MD-Spieler zu verschenken“ gestoßen. Aber schließlich ließen wir unter www.angebot-info.de den Hammer fallen, zumal das dort offerierte Objekt der Begierde im Fotoladen bei mir an der Ecke käuflich zu erwerben war – übers World Wide Web zurück ins Dorf.
Nun trägt Petra E. glücklich einen handlichen Mini-Discman zu ihren Terminen, und ihre Schulterprobleme sind wie weggeblasen. Nur schade, dass ich in der Mainzer Tiefebene ihre Berichte nicht zu Ohr bekomme. Denn mein einziges Rundfunkgerät ist ein altes Autoradio, aus dem ich das Rauschen nicht raus- und in das ich den SFB nicht reinkriege.
So war das bisher. Dabei hätte doch ein Klick genügt! Der Funk hat sich nämlich schon längst ins gemachte Netz gesetzt. Unter www.krs-radioworld.com gibt es eine weltweite Liste aller Radioanstalten, die mit Teilen ihres Programms nicht nur on air, sondern auch live drin sind. Hörspiele ohne Frequenzen – das üppige Angebot lässt das Internet geradezu radioaktiv strahlen.
Zudem schlagen zahlreiche reine Netzradios kräftige Webwellen. Gute Chancen, mein Lieblingssender zu werden, hätte www.youwant.com, bei dem ich prompt per Mausklick die Debüt-CD einer völlig unbekannten Interpretin gewann. Nur hat der Preis leider bis heute noch nicht den Weg in meinen Briefkasten gefunden. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich aus Sicherheitsgründen – und dummerweise – eine falsche Adresse angegeben habe.) Dort können aus sieben Musikrichtungen insgesamt 66 unterschiedliche Streams abgerufen werden. Keine Verkehrsmeldungen, kein Nachrichtensprecher, keine Werbung und keine Beiträge von Petra E. stören das Hörvergnügen.
Einen aus dem Real-Radio bekannten Service liefert www.internetradio.de: Der Hörer-User darf sich per E-Mail einen Song wünschen und damit einen Freund aus der Netzgemeinde grüßen. Man überlegt sich allerdings zwei- bis dreimal, ob man mit Mainstreamern wie Herbert Grönemeyer oder Celine Dion seinem Nächsten tatsächlich eine Freude bereitet. Lieber empfehle ich das Undergroundradio www.3wk.com. Da läuft alles, was schwarz gestrichene Lider hat – zum Beispiel Altes von The Cure und Neues von Placebo. Dazwischen auch mal weniger Untergrundiges wie Beck, Blur und Limp Bizkit. Und gestern sogar The House of Love, die hätte ich fast vergessen. „Sheee, she, she, she shine on“, sangen meine Mini-PC-Boxen. Wäre nicht diese Kolumne fällig gewesen, ich würde jetzt noch tanzen. JUTTA HEESS
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