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die kleine löterin und der große dank an ralph otto

von WIGLAF DROSTE

Dem freundlichen Kollegen Ralph Otto verdanke ich die Kenntnis der Platte „Leben wird es geben“ von Peter „Piet“ Janssens. Die LP mit dem programmatischen Titel ist eine Produktion für den Kirchentag 1975 in Frankfurt am Main. Janssens messiaste damals von Telgte im Münsterland in die Welt hinein. Mit einer 13-köpfigen Band, darunter Sänger Detlev Jöcker und Gitarrist Gerd Geerken, verbrach er das, was er „pietbiet“ nannte und was nicht nur sektenchristlich und zeltgottesdiensttauglich, sondern erstaunlicherweise wie Ostzonenagitprop klingt: ebenso jesusmäßig wie SDAJhaft schwülstig, statisch rockistisch, befreiungstheologisch hymnisch – und furchtbar verklemmt. Und weil die Weltenrettungs- und Menschheitsbefreiungslieder so authentisch sind, vollkommen ironiefrei und ohne jede Ahnung von der unfreiwilligen Komik, die in ihnen haust, klingen sie heute ganz und gar unglaublich. Man kann sich das nicht vorstellen: dass sich 13 Menschen hinstellten und – ernsthaft, begeistert und gläubisch – „Du kleine Löterin“ sangen. Aber sie taten es. Wir können das heute anhören, uns freuen und es jubelnd nachsingen. „Du kleine Löterin“, Text und Musik Piet Janssens, beginnt so:

„Du kleine Löterin / Halle sechs, Platz sieben / Was hast du alles schon gelötet? / Was ist von dem Mehrwert deiner Arbeit übrig geblieben? / In deiner gottserbärmlich schmalen Lohntüte? / Du meine Güte!“

Das Stakkato „Was ist von dem Mehrwert deiner Arbeit übrig geblieben?“ in eine Zeile gequetscht und gesungen zu haben, ist schon ein Verdienst an sich, und „Lohntüte“ auf „Du meine Güte“ tendiert ins Sagenhafte. Doch Janssens hat noch Besseres nachzulegen: „Täglich das gleiche: Schaltplatine her / Widerstände reinstecken – whuuuaah! / Und dann der Geruch vom Lötzinn / Und täglich derselbe Blödsinn!“

Wir gehen in die Knie – und wieder in den Refrain: „Du kleine Löterin / Halle sechs, Platz sieben / Was hast du alles schon gelötet? / Was ist von dem Mehrwert / Deiner Arbeit übrig geblieben? / In deiner gottserbärmlich schmalen Lohntüte? / Du meine Güte!“

So viel Desillusioniertheit war für einen christlich-sozialistischen Befreiungsrocker 1975 aber offensichtlich selber nicht auszuhalten. Eine Perspektive musste her, ein Verbund auch des Künstlers mit der ganz selbstverständlich angeduzten und inferior gemachten „kleinen Löterin“, und diese Anbindung hatte Janssens parat: „Vielleicht hast du sogar das Mikrophon gelötet / Durch das wir jetzt singen – wer weiß es? / Vielleicht hast du sogar den Stereo-Set gelötet / Durch den du jetzt unser Lied hörst?“

Derart offene Fragen aber taugten nichts in den Siebzigerjahren, weshalb Janssens sie dann doch flink beantwortete: „Du kleine Löterin / Halle sechs, Platz sieben / Das hast du alles schon gelötet / Das ist von dem Mehrwert deiner Arbeit übrig geblieben / In deiner gottserbärmlich schmalen Lohntüte / Du meine Güte!“

Danke, Piet Janssen, für dieses Lied, und noch größeren Dank, Ralph Otto, für die Information. Die Fackel wird weitergetragen.

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