: Besetzte Straßen, platte Reifen
Der vermeintlich autofreie Tag in der Stadt: Fahrraddemos auf der Stadtbahn-Route, die Polizei droht mit Räumung, E-Mobile auf der Nobelmeile. Und dazwischen fahren genauso viele Autos wie jeden Freitag. Von unterwegs berichten ■ Gernot Knödler, Eberhard Spohd, Peter Ahrens und Timm Christmann
Jungfernstieg: Irgendwas stimmt nicht mit dem Fahrrad. Kopf und Körper des Jungen, der damit auf dem gesperrten Teil des Jungfernstiegs entlang radelt, hüpfen auf und ab, als säße er auf einem Pferd – der Effekt kommt von den Radnaben. Der Radreiter ist eine der Attraktionen, mit denen die OrganisatorInnen des Autofreien Tages die Menschen zur zentralen Veranstaltung locken wollen. Von der Bühne am Alster-Anleger aus dankt die Zweite Bürgermeisterin Krista Sager den Anwesenden, „dass Sie sich die Freiheit genommen haben, ohne Auto zu kommen“. Viele sind es nicht. Selbst am Nachmittag werden sich keine Massen auf der Nobelmeile drängen.
Dafür scheint die Sonne, so dass der GAL-Bezirksabgeordnete Claudius Lieven nicht frieren muss in dem kleinen Open-Air-Wohnzimmer, das seine Fraktion auf der Fahrbahn aufgebaut hat. Die GALier wollen zeigen, wieviel sich mit dem Platz anstellen lässt, den ein einziges Auto braucht. Lieven sitzt ein wenig einsam auf dem Sofa und liest, während schräg gegenüber das Twike beschnüffelt wird – ein Elektro-Zweisitzer-Auto, bei dem die Passagiere mittreten können.
Hundert Meter weiter beißt Harald Krause in eine Bratwurst. Der Lüneburger ist mit der Bahn in die City gekommen, allerdings nicht wegen des Autofreien Tags. Krause arbeitet bei der Albingia am Jungfernstieg und pendelt jeden Werktag. „Es lohnt sich nicht, mit dem Auto zu fahren“, findet er. Die Zugverbindung sei gut, und während der Bahnfahrt könne er schlafen oder lesen.
Estella Ender und ihr Freund kommen sonst immer mit zwei Autos in die Innenstadt. Zum Autofreien Tag haben sie es sich so eingerichtet, dass sie ein Auto zu Hause stehen lassen konnten. Als Dauerlösung können sie sich das allerdings nicht vorstellen. Der HVV kommt für sie nicht in Frage: zu teuer, zu langsam, zu unsicher. „Ich würde mich abends nicht in öffentliche Verkehrsmittel setzen“, sagt Ender.
Rübenkamp: Die Fahrraddemo will auf die Stadtbahn hinweisen: Vom S-Bahnhof Rübenkamp, an Stadtpark und Mundsburg vorbei führt sie der Weg entlang der Stre-cke, die dereinst einmal von einer Straßenbahn befahren werden soll. Der BUND und die GAL Nord hatten dazu aufgerufen, nicht nur am AutoFreiTag Präsenz zu zeigen, sondern auch schon einmal die Schönheiten dieses Wegs in Augenschein zu nehmen.
Auch der Schreiber dieser Zeilen wollte an diesem Umzug teilnehmen, hat aber nicht damit gerechnet, dass nicht nur Autos mangels Benzin stehenbleiben können, sondern auch ein Fahrrad hin und wieder seine Panne hat. So muss er sein Vehikel schon auf Höhe Stadtpark wegen eines platten Reifens zurücklassen. Glücklicherweise hat die GAL aber die an normalen Tagen von Touristen benutzte Hummelbahn angemietet, die die Tour begleitet. Was gut ankommt: Insgesamt 200 Fahrgäste nutzen den Service.
Durch die Stadtbahn soll die Verkehrsanbindung der Stadtteile Rahlstedt, Steilshoop und Bramfeld ebenso verbessert wie die Buslinie 102 vom Jungfernstieg über die Grindelallee nach Lokstedt und Niendorf entlastet werden. Über diese Vorhaben werden die rund 100 Radler auf der Demo ebenso informiert wie über die mehr als 400 weltweit bestehenden Stadtbahnnetze. Und sie haben das Vergnügen, innenstädtische Wege befahren zu können, die ihnen an den übrigen Tagen verwehrt bleiben. Wer traut sich denn sonst schon, in Dreierreihen über die Hamburger Straße zu radeln?
Max-Brauer-Allee: Am Ende hat die Schule doch noch ihre Straßensperre bekommen, die sie haben wollte. Ohne die Mithilfe der Polizei hätte das nicht geklappt. Der Verkehr wird von der Max-Brauer-Allee umgeleitet, und die SchülerInnen der Fachschule für Sozialpädagogik haben die Straße für sich – zum Tanzen, zum Musikmachen, zum einfach nur Herumstehen. Genauso haben sie sich das vorgestellt, als sie vor der Sommerpause für den Autofreien Tag die Sperrung der Max-Brauer-Allee beantragt haben. Fast genau so. Wenn nur nicht die ganzen Polizeiautos wären, die die Straße von beiden Seiten zuparken. Wenn nur nicht die Stimme aus dem Megaphon sagen würde: „Wenn Sie die Straße nicht frei machen, sind wir gezwungen, zu räumen.“
„Das ist völlig absurd: Schul- und Umweltbehörde propagieren den Autofreien Tag, Innen- und Verkehrsbehörde konterkarieren ihn total“, empört sich ein Lehrer. Er findet es daher auch völlig in Ordnung, dass die SchülerInnen zur Selbsthilfe gegriffen haben, nachdem die Innenbehörde den offiziellen Antrag der Schule auf Sperrung der Allee abgelehnt hatte. Sie sind auf die Straße gegangen, spontan, und haben die Max-Brauer-Allee für sich besetzt. Den Autofahrern wird die taz-Beilage zum AutoFreiTag unter den Scheibenwischer gesteckt. Einer steigt aus, nimmt die Zeitung und zerknüllt sie. „Alles Blödsinn, was ihr da macht.“
Das finden die PolizistInnen auch: Mit zehn Einsatzfahrzeugen sind sie angerückt und haben die Allee damit erst einmal völlig dicht gemacht. Busse müssen wenden, die Autos werden umgeleitet, die Straße gehört für eine Stunde den SchülerInnen. Erst als die Beamten sich anschicken zu räumen, kommen ihnen die Blockierer zuvor. Sie weichen wieder dahin aus, wo selbst die Innenbehörde nichts dagegen haben kann: Auf die Wiese vor der Schule. Der Autoverkehr kann wieder losrollen, vorbei an dem Transparent: „Spritpreise werden teurer. Lasst eure Autos stehen.“
Heiligengeistfeld: Die AutofahrerInnen-Routine unterbricht wenigstens ein wenig die „eco school parade“, die vom Heiligengeistfeld nach Hellbrook zieht. In sechs Gelenkbussen der Hochbahn demonstrieren 600 SchülerInnen für das Motto „Save the planet now“. Die Parade ist eine Belohnung für die 32 Schulen, die sich in diesem Jahr erfolgreich um den Titel „Umweltschule in Europa“ beworben haben. Sie packen sich Solarzellen aufs Dach wie das Gymnasium Willhöden oder bauen Weidentunnel, wie die Schule Surenland. Die Schule Hegholt beteiligte sich in diesem Rahmen an einem Wettbewerb zur Gestaltung von Werbeplakaten für den HVV. Ihr Motiv: Eine Frauenhand, die aus dem offenen Hosenschlitz einer Männerjeans auftaucht und mit den Worten kommentiert wird: „Schneller zum Ziel.“
Winterhude: Aus der Ferne betrachtet sieht der Grasweg am AutoFreiTag wohl genauso aus wie all die anderen gesperrten Straßen entlang der Hamburger Schulhöfe. Kinder brettern auf Inlineskates über Rampen, liefern sich Radrennen, nutzen den freien Asphalt lärmend und lachend für Ballspiele und Kuchenschlachten. Doch schon die Vielfalt der Vehikel muss stutzig machen: GoCarts, Dreiräder mit Rücksitz, Autoreifen auf Rollen, Tretroller mit Beifahrer und etliche Tandems brausen durcheinander. Denn hier haben die 145 Kinder der Schule für Blinde und Sehbehinderte die Verkehrshoheit. Und die genießen für wenige Stunden das, was andere selbst für einen Tag nur ungern preisgeben: uneingeschränkte Mobilität. „Unsere Schüler können sich heute einmal gefahrlos, ohne Angst zu haben und weitgehend ohne Hilfe auf der Straße bewegen – und das ist etwas besonderes,“ begründet Lehrer Dieter Rusch die Teilnahme seiner Schule am AutoFreiTag. Doch auch wenn Umweltfragen am Grasweg nur eine untergeordnete Rolle spielten – Skaten und Picknick auf der Straße, bedeutet auch hier nicht einfach mehr Freiheit als gewöhnlich. Es ist auch eine politische Aussage: „Das Verkehrsleitsystem für Sehbehinderte ist in Hamburg noch mangelhaft,“ erklärt Schulleiterin Evelin de Lorent. Die U-Bahn-Stationen seien schlecht beleuchtet, die Stufen meist nicht markiert und es gäbe nicht genug akustische Ampeln.
Diese Alltagssorgen plagen ihre Schützlinge derweil ausnahmsweise nicht: Schlangenlinien fahrend rast Achtklässler Uwe auf einem GoCart durch seine Mitschüler und brüllt: „Ich bin betrunken.“ Und wieder ist es wie auf all den anderen Schulhöfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen