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Das große Dominospiel

Mathematik der Körper: „hunting“, das neue Stück der Tanzcompagnie Rubato

Erinnert sich noch jemand an die Theorie, in der der Flügelschlag eines Schmetterlings in den Tropen durch die Verkettung der Reaktionen einen Putsch in einer Militärdiktatur auslöste? Geschichte als Ergebnis von menschlichem Wollen und Planen zu begreifen, war von dieser Perspektive aus ein Missverständnis und Ursache und Wirkung so kompliziert verbunden, dass keine Lebenszeit ausreichte, sie zu erfassen.

Mit Kettenreaktionen und der Unbarmherzigkeit des mathematisch Berechenbaren hat das neue Stück der Tanzcompagnie Rubato, „hunting“ sehr viel, mit der biographisch geprägten Erlebnisperspektive des Einzelnen hingegen gar nichts zu tun. Am Anfang kommen die fünf Tänzer nackt in das Theater und legen Kopf an Fuß Ketten und Muster auf den roten Tanzteppich, als wären sie Spielfiguren im Domino. Auf diese Weise vermessen sie den Raum und teilen ihn auf nach Körperlängen: Allein, dieses menschliche Maßwerk bleibt kühle Geometrie, die sich kaum mit Leben und Wärme füllt.

Die Figuren, zu denen sich die fünf Akteure verweben und verknoten, werden zwar immer komplexer und die Leitungen der Energieimpulse, die durch Hände und Füße, Ellbogen und Knie, Schultern und Hüften, Kopf und Bauch von Körper zu Körper weitergegeben werden, immer verschlungener. Am Ende aber reicht stets ein kleiner Stoß, um sie alle umzumähen.

Man könnte dies als existenzialistische Metapher lesen für Vergeblichkeit. Doch so bedeutungsschwanger ist die Sache nicht. Der Programmzettel schlägt eine sachlichere Lesart vor: „hunting ... spürt Qualitäten auf, die sich aus einfachen Formen, Regeln und Bewegungsmustern wie Stürzen, Rollen, Umleiten, Gewichtgeben und Loslassen herstellen lassen. Wie ein Geflecht, einfach und komplex zugleich.“ Tatsächlich bekommt man all das geboten, doch einen emotionalen Mehrwert gibt es nicht. Wie gefangen bleiben die Performer in ihren Rollen, wie verschleiert der Blick auf das Geschehen. Denn selbst noch in den sanftesten Momenten der Duette, wenn die Paare sich umfangen und wiegen wie einst Maria ihren Sohn, teilt sich eine Anspannung und Anstrengung mit, die Erwartungen erzeugt, ohne sie jemals einzulösen. Hinterher braucht es einen Actionthriller, um diesen Spannungsstau wieder aufzulösen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Vom 27. 9 – 1. 10 u. 4. – 8. 10, ab 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer

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