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Blutige Normalität

Kaum steigen die Ölpreise, schon wird Saddam Hussein als Geschäftspartner interessant. Russland und Frankreich haben das UN-Embargo bereits gebrochen

Während die Autofahrer über hohe Benzinpreise zetern und von einer neuen „Ölkrise“ die Rede ist, bietet sich ein zweifelhafter Retter an: Saddam Hussein. Er herrscht über jenes Land, in dessen Boden die zweitgrößte Menge des weltweit nachgewiesenen Erdöls schlummert. Und er wittert die Chance, endlich das lästige UN-Embargo loszuwerden, das nach dem irakischen Überfall auf Kuwait vor zehn Jahren verhängt wurde.

Zwar war das Embargo bereits löchrig – unterlaufen wurde es jedoch bisher nur von den üblichenVerdächtigen: Türkische Lkw-Fahrer schmuggelten irakisches Öl über die Grenzen, unterstützt von den Kurden im Irak und mit Billigung der Regierung in Ankara. Umgekehrt lieferten jordanische, syrische, libanesische und iranische Geschäftsleute vom Embargo betroffene Güter nach Bagdad. Und dubiose Händler manövrierten ihre Tanker durch den Golf, um den Weltmarkt mit irakischem Öl zu versorgen.

Doch seit einer Woche ist eine neue Qualität erreicht. Zwei der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates begehen offenen Embargobruch: Frankreich und Russland. Letzten Freitag landete ein Flugzeug aus Paris auf dem „Saddam International Airport“, am Samstag folgte dann eines aus Moskau, und für diesen Freitag ist ein weiterer französischer Flieger angekündigt. An Bord ist jeweils eine bunte Mischung aus humanitären Helfern, Künstlern, Sportlern, Politikern und Geschäftsleuten. Sie alle reisen ohne Genehmigung durch das UN-Sanktionskomitee.

Ein Embargo für Nicht-Linienflüge sei gegen den Irak nie verhängt worden, lautet die fadenscheinige Begründung aus Paris, Moskau und Bagdad. Das ist glatt gelogen. Die im Herbst 1990 verabschiedeten Resolutionen 661 und 670 des UN-Sicherheitsrates verlangen für Flüge in den Irak ohne UN-Auftrag zwingend die Genehmigung durch das Sanktionskomitee. Wenn sie fehlt, werden alle anderen Staaten aufgefordert, das Überflugrecht zu verweigern. Deshalb durfte die französische Maschine am vergangenen Freitag nicht über Italien fliegen, sondern musste den Weg über das willfährige Griechenland wählen.

Wohin die Reise geht, zeigen am deutlichsten die Äußerungen aus Moskau: Die russische Fluggesellschaft Aeroflot plane, demnächst in Bagdad wieder ein Büro zu eröffnen und den Linienverkehr dorthin erneut aufzunehmen. Russland hofft auf die Rückzahlung von Schulden in Höhe von acht Milliarden US-Dollar, die die irakische Führung zu Sowjetzeiten angehäuft hat. Frankreich, ebenfalls ein irakischer Verbündeter aus Zeiten, als Saddam Hussein noch als Bollwerk gegen den Iran galt, will seine Schulden auch eintreiben können. Zusätzlich hoffen französische Firmen, dass sie am lukrativen Wiederaufbau der irakischen Ölindustrie und Infrastruktur beteiligt werden. Zu Recht, denn Iraks Führung signalisiert: Alte Freunde werden bei Vertragsabschlüssen nicht vergessen!

Russen und Franzosen rechtfertigen sich damit, dass die Sanktionen sowieso gescheitert seien. Und in der Tat: Das Embargo war ein Fiasko. Saddam Hussein ist sich heute seiner Macht sicherer als vor zehn Jahren; Waffeninspektionen finden, nachdem Iraks Militärs die UN-Spezialisten jahrelang am Nasenring herumgeführt haben, inzwischen überhaupt nicht mehr statt; und der kurdische Norden, der einst als demokratische Keimzelle gehandelt wurde, ist zum Spielfeld von Warlords geworden.

Am härtesten hat das Embargo allerdings die irakische Zivilbevölkerung getroffen. Tausende, vielleicht sogar zehntausende sind an mangelnder medizinischer Versorgung oder an Unterernährung gestorben. Eine Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef aus dem vergangenen Jahr belegt, dass sich die Sterblichkeit der irakischen Kinder unter fünf Jahren inzwischen verdoppelt hat. Ähnliches gilt für alte Menschen. Daran ist sicherlich auch die irakische Führung schuld. Schließlich sind Medikamente, Lebensmittel und andere Hilfsgüter von dem Embargo ausdrücklich ausgenommen. Doch was kann man von einem diktatorischen Regime anderes erwarten, als dass es die eigene Bevölkerung unterdrückt, ausbeutet und verrecken lässt? Der zentrale Fehler der Sanktionen war von Beginn an, dass ihre Durchsetzung auf den „guten Willen“ von Saddam Husseins angewiesen ist, ebenjener Person, der sie eigentlich schaden sollten.

Stattdessen bewahrheitete sich die Erkenntnis, dass Sanktionen – wo immer verhängt – umso wirkungsloser werden, je länger sie in Kraft sind. Ebenso wie Slobodan Milošević in Jugoslawien oder Muammar al-Gaddafi in Libyen findet Saddam Hussein immer neue Wege, um das Embargo zu unterlaufen. Es entstand eine Parallelwirtschaft, von der ein kleiner, stets reicher werdender Personenkreis profitiert, während die Masse der Bevölkerung verelendet. Iraks BürgerInnen hungern – und Saddam Hussein lässt sich neue Paläste bauen.

Spätestens dieses gescheiterte Embargo sollte Lernerfolge hervorrufen – und den Blick auf Alternativen lenken. Manche sind allerdings historisch verschenkt: So wäre ein Durchmarsch der Golfkriegsalliierten im Frühjahr 1991 bis nach Bagdad möglich gewesen. Wer den Irak kennt, weiß, dass die überwiegende Mehrheit der Iraker die internationalen Truppen unterstützt hätte. Freilich verbietet das Völkerrecht einen solchen „Diktatorensturz“ von außen.

Die zweite Möglichkeit wäre damals gewesen, die Aufstände im Norden und Süden des Landes zu unterstützen, die nicht zuletzt durch einen Aufruf des damaligen US-Präsidenten George Bush ausgelöst wurden. Doch stattdessen nahm man hin, dass Husseins Elitetruppen die Rebellen und tausende von Zivilisten abschlachteten. Nur das Regime in Bagdad garantiere die territoriale Integrität Iraks, lautete damals die durch nichts bewiesene Begründung. Stattdessen wurden mit Hilfe der CIA neue Oppositionsgruppen aufgebaut, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung genießen: der chronisch zerstrittene „Irakische Nationalkongress“ und die „Nationale Übereinkunft“ – ein Sammelbecken ehemaliger irakischer Geheimdienstler und anderer Mörder und Folterknechte. Zusätzlich bombardieren US-amerikanische und britische Kampfflieger immer noch regelmäßig irakische Luftabwehrstützpunkte. Einzige Opfer sind Soldaten, die vom Regime unter Todesdrohungen zwangsverpflichtet werden.

Der Gewinner der konzeptionslosen Irak-Politik heißt Saddam Hussein. Mit Hilfe des Öls hofft er nun auch auf die internationale Rehabilitation. Der Irak verfügt über mindestens 15,1 Milliarden Barrel Öl. Mehr besitzt nur noch Saudi-Arabien. Dürfte der Irak den Weltmarkt wieder mit voller Kraft beliefern, so würde der Ölpreis massiv sinken und viele Autofahrer glücklich machen. Geht es nach Frankreich und Russland, wird Hussein damit Erfolg haben. Einzig die USA beharren auf einer uneingeschränkten Aufrechterhaltung des Embargos. Gerade im Wahlkampf kann es sich keiner der beiden Kandidaten leisten, das seit Jahren gepflegte Feindbild aufzugeben – auch wenn durch diese Politik weiterhin Menschen sterben.

Doch auch wenn das Embargo gescheitert ist, darf es nicht eilfertig und aus Eigeninteresse aufgegeben werden, wie Frankreich und Russland es vormachen. Denn für Bagdad würde dies die lang ersehnte „Normalisierung“ bedeuten. Und was für Hussein „normal“ ist, das hat er seit seiner Machtergreifung 1979 gezeigt. Tausende seiner Gegner samt Angehöriger verschwanden spurlos oder wurden ermordet. Eine Million Iraker starben im Krieg gegen Iran, mindestens fünftausend beim Giftgaseinsatz 1988 gegen das kurdische Halabdscha und eine bis heute unbekannte Zahl in Folge des Überfalls auf Kuwait.

Zehn Jahre danach ist es dringend Zeit für eine schonungslose Revision der internationalen Politik gegenüber Irak, am besten unter der Ägide der UNO. Doch stattdessen werden die UN-Beschlüsse einfach ignoriert. Frankreich und Russland, als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates, geben die UNO so ein weiteres Mal der Lächerlichkeit preis – ein fatales Signal auch an andere „Schurkenstaaten“ dieser Welt. Zeigt es doch, dass Renitenz sich lohnt.

Regierungen, die Geschäftsleute und Politiker jetzt nach Bagdad fliegen lassen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, damit dem wohl brutalsten Regime dieser Welt zu dienen. Erst kürzlich verfügte Saddam Hussein, dass jedem die Zunge herauszuschneiden sei, der schlecht über ihn oder seine Angehörigen redet. Wer dessen ungeachtet den Diktator als Geschäftspartner akzeptiert, bestätigt auf eigene Art, was Golfkriegsgegner vor zehn Jahren den USA vorwarfen: ihre Irak-Politik folge dem Motto „Blut für Öl“. THOMAS DREGER

Hinweise:Das Embargo ist gescheitert: Die Iraker hungern – und Saddam Hussein lässt sich neue Paläste bauenDer Irak verfügt über 15,1 Milliarden Barrel Öl. Mehr besitzt auf der Welt nur noch Saudi-Arabien

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