piwik no script img

„Das ist das Ende eines autoritären Regimes“

Nach Meinung von Goran Svilanović vom Belgrader Bürgerbund denkt niemand in der serbischen Opposition an einen zweiten Wahlgang

taz: Kann man in einem Land, das schon lange kein Rechtsstaat mehr ist und in dem das Milošević-Regime alles inklusive der Wahlkommission kontrolliert, für eine Überprüfung der Wahlergebnisse kämpfen?

Goran Svilanovic: Das demokratische Bündnis DOS ist sich in seiner Haltung völlig einig, und die Aussage Vojislav Koštunicas hat diese Haltung beschrieben: Wir fordern, dass das wirkliche Wahlergebnis bekannt gemacht wird, wir haben alle tatsächlichen Ergebnisse in unseren Protokollen, und wir werden sie der Bundeswahlkommission vorlegen. Von dieser Kommission fordern wir, dass sie offen legt, anhand welcher Materialien sie das veröffentlichte Resultat erstellt hat, das gestern bekannt geworden ist. Und auf diesem Wege wollen wir feststellen, wie die Dinge wirklich stehen.

Wir kennen die Wahrheit: Vojislav Koštunica hat die erste Runde der Präsidentschaftswahlen mit über 50 Prozent der Wählerstimmen gewonnen. Somit ist er nach dem Willen der Bürger der neue Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien. Da gibt es weder zwischen den Vorsitzenden der DOS-Parteien noch unter den Mitgliedern Meinungsverschiedenheiten. Und ich denke, die gibt es auch nicht unter den Bürgern Serbiens, die für Koštunica gestimmt haben.

Trotzdem: Wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Forderungen an die Wahlkommission mit Beweismaterial zu untermauern, wird das Parteienbündnis DOS dann an einem zweiten Wahlgang teilnehmen?

An welchem zweiten Wahlgang? Das kommt gar nicht in Frage! Das ist bei uns gar kein Thema. Niemand spricht darüber. Das ist das Ende eines autoritären Regimes. Milošević und all seinen Anhängern werden wir zeigen, was dem Regime blüht. Wir werden uns auf keinerlei Handel einlassen. Niemand hat auch nur daran gedacht, das Angebot eines zweiten Wahlgangs anzunehmen. Die Wahlen sind vorüber. Wir wissen, wer der Sieger ist, und das wissen auch Milošević und die Bundeswahlkommission. Aber es fällt ihnen schwer, das einzusehen. Von daher werden wir versuchen, sie dazu zu zwingen. Es wird ein Konzert des nicht nur in Jugoslawien bekannten Musikers Goran Bregović und ein Treffen der Opposition in der Hauptstadt geben. Dort werden wir unseren Sieg feiern. Milošević wird sehen, wie viele Leute kommen werden, und er wird angesichts dieses Bildes damit beginnen müssen, sich der tatsächlichen Lage angemessen zu verhalten.

Milošević ist sich bewusst, dass es um ihn herum kocht wie in einem Topf. Allen ist klar, dass die amtlichen Ergebnisse Resultat eines Wahlbetrugs sind, denn in der ersten Veröffentlichung der regierenden Linkskoalition hat Milošević 57 Prozent der Stimmen bekommen und Koštunica 30 Prozent. Dannach hieß es, Milošević würde mit 44 Prozent führen, und 40 Prozent hätten für den demokratischen Kandidaten Koštunica gestimmt. Jetzt sind auf einmal 48 Prozent für Koštunica und 40 für Milošević ausgezählt – das ist doch ganz offensichtlich ein Spielchen.

Es steht zu erwarten, dass die Bundeswahlkommission das echte Resultat für sich behalten wird – das da lautet: Vojislav Koštunica wurde im ersten Wahlgang mit einer überwältigenden Mehrheit der Stimmen zum Präsidenten Jugoslawiens gewählt. Wir sind ungeduldig, aber wir werden uns bemühen, uns in Geduld zu üben. Wir haben bereits gesagt: Wir geben ihnen Zeit bis Donnerstagabend, damit sie noch einmal alles überprüfen. Und ich bin sicher, dass ihre Resultate genau mit denen übereinstimmen werden, die wir vorgelegt haben.

Aber wenn sich die Kommission nicht verständigen kann und weiterhin an ihrer Forderung nach einem zweiten Wahlgang festhält, dann wird sie unsere Antwort hören. Und die lautet: Nein. Es gibt keinen zweiten Wahlgang. Über weitere Aktionen wird nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses am Donnerstagabend gesprochen werden.

Nach Angaben aus Belgrad ist in den Reihen von Milošević’ Sozialistischer Partei zu einer Spaltung gekommen. Weder die serbische Polizei noch die Jugoslawische Armee sind offenbar noch vollständig bereit, das Regime zu schützen. Befürchten Sie trotzdem, dass Ordnungskräfte oder Militär versuchen könnten, Proteste von Bürgern und Opposition gewaltsam zu verhindern?

Sicher ist, dass sich noch immer einige tausend Menschen gefunden haben, die bereit sind, alles für Milošević zu tun. Aber ich bin völlig sicher, dass Milošević keinen massenhaften Polizeieinsatz befehlen kann, wie er das früher konnte. Oder dass er Panzer auf die Straßen schicken könnte, wie er das am 9. März 1991 getan hat. Und sollte er in seiner Wut doch solche Aktionen anordnen, so wird er keine Unterstützung finden. Das kann in Serbien nicht mehr passieren.

Tatsächlich wissen wir, dass der allergrößte Teil der Polizisten und Soldaten gegen ihn gestimmt hat. Das muss für Milošević ein Schock gewesen sein, als er begann, die blauen Umschläge zu öffen. Militärangehörige mussten ihre Stimmzettel in blaue Kuverts stecken, damit Milošević überprüfen konnte, ob sie ihm treu geblieben sind. Also hat er auch selbst nachgeschaut und feststellen müssen, dass ihn viele betrügen. Das heißt: Auch Milošević weiß, dass er keinen Apparat mehr hat, der seine Anweisungen ausführt, sollte er Polizei und Armee befehlen, auf das Volk einzuschlagen. Selbst mit Gewalt wird er sich nicht mehr lange an der Macht halten.

INTERVIEW: JASMINA NJARADI

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen