mit jörg schröder hinein ins glück von WIGLAF DROSTE:
Zehn Jahre lang hat der Schriftsteller und Verleger Jörg Schröder die Literatur, die Verhältnisse, in denen sie entsteht, und das mit ihr verbundene Personal beleuchtet, beschrieben und gegebenenfalls kunstvoll an die Wand geklatscht. Vierteljährlich erschien eine neue Folge von „Schröder erzählt“; wer wissen will, wie es zuging im deutschen Literaturbetrieb nach 1945, muss das gelesen haben. Und wird mit vielfältigen Freuden belohnt. Gern erweitert der aus dem Vollen erzählende Schröder die deutsche Sprachfamilie um schöne Wörter. Schröder lesend lernte ich zum Beispiel das Wort „Spinatstich“ – eine vielleicht nicht sehr appetitmachende, aber hoch eindrückliche Bezeichnung für Analverkehr.
Die 40. Folge, „Languages spoken“, beschließt jetzt die Serie. Schröder widmet sich unter anderem der Betriebsnudel Marcel Reich-Ranicki: „Dummerweise bevorzugte inzwischen auch Marcel Reich-Ranicki das ‚La Truffe‘, also sogar unser Luxus-Rückzugsrestaurant wurde uns versaut durch dessen Gegenwart! Der Knilch saß manchmal mit seiner Teofila und Gästen im anderen Eck und schoss wütende Blicke auf mich – auf Barbara weniger. Es macht ja keinen Spaß, wenn dich beim Reinziehen des Rosenblütensorbets ein alter Kerl wütend anblitzt und im nächsten Moment ranzig auf deine Frau glotzt. ‚Er liebt es, an den Frauen zu knöpfen und zu zupfen und zu drücken – und es ist Liebe.‘ Das ist nicht von mir, sondern von seinem Elogisten Schirrmacher, der den alten Kacker auf solch unfreiwillig präzise Weise als ekligen Tatsch- und Sabbersack porträtiert. Übrigens durchaus im richtigen Kontext, nämlich in Frank Schirrmachers kopfloser Jubelschreibe über Michael Dumpfmüller, den Autor dieser ungelüfteten ost-westdeutschen Bettengeschichte – bei weitem die muffigste Spießerprosa, die diese schwiemeligen Zeiten bisher hervorgebracht haben.“
Schröder kann nicht nur schwungvoll und mitreißend schimpfen, er vergisst auch nie die Politik: „Reich-Ranicki ging auf die Palme, schimpfte mich einen ‚politischen Paranoiker‘. Klar, ich brüllte zurück: ‚Ausgerechnet Sie mit Ihrer Lebensgeschichte nennen mich einen Paranoiker! Der Verleger Joseph Melzer hat mir ein paar Geschichten über Ihre Zeit in Polen von 1945 bis 1958 erzählt. Oder waren Sie vielleicht kein Stalinist und Spitzel?‘ Melzer konnte, bevor die Deutschen das Warschauer Ghetto dichtmachten, aus Polen in die Sowjetunion flüchten und saß dort zehn Jahre als angeblicher deutscher Spion im Gulag. Seine Informationen stammten von Gewährsleuten aus Israel, die dem Ghetto entkommen waren.“
Das Leben gewinnt, wenn Jörg Schröder es erzählt. Zum Glück für seine Leser hält er sich an das, was seine Frau, Barbara Kalender, ihm sagt: „Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass die Leser hüpfen, und zwar vor Vergnügen.“ Das habe ich, wie viele Freunde und Kollegen, zehn Jahre lang getan, und jetzt springen wir auf dem Sofa Trampolin, in Vorfreude auf die Fortsetzung: „Schwarze Serie“, ab Januar 2001.
„Schröder erzählt“, 40 Folgen à 60 DM, Fax: (08 21)15 25 95
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