piwik no script img

Eschborn to be wild

Endlich steht der neue Kanzlerkandidat der CDU fest: Es ist Roland Koch

Der Finanzskandal und seine ultrabrutale Aufklärung haben Spuren bei Koch hinterlassen

Die Freude ist Roland Koch deutlich anzusehen: Er schwitzt unter den teilrasierten Achseln, aus seiner Hose läuft Wasser, die Brille ist von innen beschlagen. Das sieht nicht gut aus, doch einem Koch wie Roland ist das egal. Siege muss man feiern.

Eben wurde er in geheimer Abstimmung vom Präsidium der CDU zum nächsten Kanzlerkandidaten ernannt. Die Sitzung war so geheim, dass nur ein Teilnehmer davon wusste, nämlich Roland Koch. Der gut gescheitelte hessische Ministerpräsident will sich nun mit Hilfe einer Unterschriftenaktion in dieser Funktion bestätigen lassen.

„Erst muss ich aber meine Unterschriftenaktion gegen die Ökosteuer noch fertig kriegen“, bekennt der Politiker aus dem Frankfurter Stadtteil Eschborn. Eschborn to be wild, könnte man denken, wenn man ihn sieht. Man könnte genau so gut an Schweinchen Babe in der Großstadt denken. Aber so groß ist Frankfurt ja gar nicht.

Groß ist jedoch der Erfolg von Kochs neuester politischer Eigeninitiative. Obwohl es am Anfang gar nicht danach aussah. Bei der feierlichen Eröffnung der Anti-Ökosteuer-Kampagne auf dem Wiesbadener Mauritiusplatz „hagelte es für den Politiker Pfiffe“, wie Bild am 23. 9. berichtete: „rund 200 Schüler (8 bis 18 Jahre) hetzten den Ministerpräsidenten zurück zu seinem Auto“. Das alles sei ein Missverständnis gewesen, rückt Kandidat Koch die Möbel zurecht: „Die Kids waren einfach wütend, weil sie noch zu jung zum Unterschreiben waren.“ Wären die Kinder viel kleiner und wehrloser gewesen, dann hätte der grau melierte Junge Wilde wohl „Knüppelsuppe mit Nachschlag“ verteilt. Aber die knappe Freizeit lässt dem „Bildungspolitiker aus Leidenschaft“ (R. Koch) für seine Hobbys kaum noch Zeit. Schließlich hat er noch weit über zwei Millionen Unterschriften zu leisten, und pro Stunde schafft er selbst mit Abschreiben höchstens 120. Der Finanzskandal der Hessen-CDU und seine ultrabrutale Aufklärung haben Spuren bei Koch hinterlassen. Schweren Herzens musste er seinen besten Parteikumpel Franz Josef Jung über die Klinge springen lassen. „Aber was ihn nicht umbringt“, sagt Koch, „macht mich nur älter.“ Und gewitzter, möchte man anmerken. Hat er anfangs nur beteuert, nie etwas von den jahrelangen illegalen Finanzmauscheleien seiner Partei gewusst zu haben, ist er nun auch bereit, nicht gewusst zu haben, was damals in den Jahren zwischen 33 und 45 geschehen ist.

Kein Zweifel: Die Krise hat Koch reifen lassen, hat ihn angriffslustiger gemacht. Ready, steady, go! Offensive pur. Er will provozieren um jeden Preis. Allein schon mit seinem Aussehen. Er ist Hesse, das sieht man an der Fresse. Zeit seines Lebens hat er sich nie aus seiner Kriechspur bringen lassen. Sein Weg war immer der direkte Weg hinter jemand anderem her. Kochs Vater war Anwalt mit eigener Kanzlei in Eschborn. Also wurde auch Roland Anwalt, und zwar in Vaters Kanzlei in Eschborn. Dort durfte er in minder schweren Fällen sogar selbst ans Telefon gehen. Kochs Papi war in der CDU, also ging auch Roland in die CDU. Kochs Vater war Minister in Hessen, Kochs Sohn wurde dort sogar Ministerpräsident. „Aus Verpflichtung gegenüber der Partei und den Wählern“ (Koch) ist er es bis zum heutigen Tag geblieben.

Innerhalb kürzester Zeit legte der wendige Anpasser eine Karriere hin, die ihresgleichen sucht: erst Schülerunion, dann Junge Union, jetzt Christlich-Demokratische Union. Eigentlich wäre Koch auch noch gern in die Sowjetunion gewechselt, aber der listige Staatsauflöser Gorbatschow kam dem engagierten Hardliner zuvor. Freilich verschweigt Koch heute, dass er nur deswegen in die Junge Union eingetreten ist, weil es die Hitlerjugend nicht mehr gab. „Obwohl“, merkt der beliebte Autogrammsammler schmunzelnd an, „die mit ihrer Unterschriftenaktion ‚Juden raus!‘ viel erfolgreicher waren als wir vor zwei Jahren mit der gegen Ausländer.“

Ja, da lacht er. Scheut sich nicht, auch mal Gefühle zu zeigen. Zum Beispiel Neid. „Schröder ist Kanzler und ich nicht“, bringt er die verworrene politische Lage in unserem Land auf den Punkt. Das sei Ämterwillkür, und hier wolle er als überzeugter Querdenker den Hebel oder evtl. auch die Knarre ansetzen. Je nachdem, was schneller geht. „Denn Deutschland braucht wieder ein gewisses Tempo“, ruft Koch uns noch zu – dann ist er auch schon wieder verschwunden. Hoffentlich für immer.

OLIVER MARIA SCHMITT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen