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Historische Korrekturen

Wie in Deutschland hatte man sich auch in Vietnam nach der Wiedervereinigung daran gemacht, manche Spuren der Geschichte zu korrigieren: Weil „Saigon“ für die Kommunisten aus dem Norden nach Sünde, Sabotage und Kapitalismus klang, tauften sie die südliche Metropole einfach um: Aus „Saigon“ wurde „Ho-Chi-Minh-Stadt“, zur Erinnerung an den im Hanoier Mausoleum ruhenden Staatsgründer.

Überall im Süden wurden Avenuen und Gassen umbenannt – viele von ihnen bereits zum zweiten Mal innerhalb einer Generation. Der „Palast der Unabhängigkeit“ verwandelte sich in den „Palast der Einheit“. Alle Franzosen verschwanden von den Straßenschildern, außer Wissenschaftlern wie Pasteur und Yersin, die heute noch in beiden Teilen Vietnams verehrt werden. Gewisse historische Persönlichkeiten durften bleiben, zum Beispiel Helden aus den antichinesischen Kriegen oder Schriftsteller früherer Jahrhunderte.

Das französische Kolonialregime hatte die berühmte „Rue Catinat“ im Herzen Saigons einst einem Feldmarschall von Ludwig XIV. gewidmet. Seit der Vertreibung der Franzosen 1955 hieß sie „Straße der Freiheit“. Das gefiel den neuen Herren aus Hanoi nach ihrem Sieg 1975 aber auch nicht. Sie verpassten der Straße stattdessen den Namen „Straße des Generalaufstandes“.

Das Ergebnis: Je nach politischer Überzeugung, Herkunft und Alter verabreden sich die Bewohner inzwischen in der Catinat, Freiheit oder Generalaufstand. „Ho-Chi-Minh-Stadt“ sagt so gut wie niemand in Saigon, abgesehen von ein paar hölzernen Parteikadern oder übereifrigen ausländischen Besuchern. JL