Berliner Rettung

Vermoosten Vløten, Quarks und Komäit versüßen Hamburg die triste Witterung Von Barbara Schulz

Es wird langsam kalt in Hamburg. Trotz einiger verbleibender Sonnenstunden duftet es in den Straßen nach Herbst, die Stadtmenschen ziehen die Schultern ihrer Polyester-Pullis hoch, möchten am liebsten ganz ineinander (oder in sich selbst) kriechen und können doch nur zuhause im Wohnzimmer sitzen, Socken stricken und die Heizung aufdrehen. Aber es naht die Rettung. Ein paar crazy Berliner sind auf dem Weg nach Hamburg. Nach einigen Stunden auf der verstauten Autobahn werden sie Freitag Nachmittag ankommen, ein Plakat in den Straßen schwingen, darauf den Songtitel einer gerade majormäßig so richtig durchstartenden Berliner Rockband als Parole gesprüht: „BERLIN LIEBT DICH“. Abends ziehen sie ins Molotow, um gewissermaßen als warmes Brot ihre wohltuend pluckernde Elektronik unters Volk zu bringen. Der Abend heisst denn auch „Elektronika“ und ist eine weitere super Veranstaltung im Rahmen der diesjährigen espressiva-Tage. Diese Elektronika versetzen in samtene Stimmung, wie morgens nach dem Aufwachen, wenn man noch ein wenig tranig ist, halb bei Bewusstsein, sozusagen. Diese Elektronika fahren einem wohlig in die Glieder und erinnert – zum Glück – nur selten an Bohrer beim Zahnarzt oder Tinitus im Ohr. Vollbracht wird sie von den vielen Damen und wenigen Herren, die vormals als Berliner Wohnzimmer-Fraktion bezeichnet wurden. Da wären erstmal die Vermoosten Vløten – was für ein schrecklicher Name für so nette Musik: typisch humorige, versponnene, manchmal ganz schön trantütige Kompositionen, die sich nicht scheuen, auch mal am Sockel von Epic Soundtracks und Daniel Johnston zu rütteln. In guten Momenten lassen sie die Illusion zu, die famosen Marine Girls aus den 80er Jahren mit der tollen Tracey Thorn von Everything but the Girl wären noch am Start.

Die Berliner Rettung Teil zwo sind die Quarks. Deren mikroskopisch erarbeitete Sounds und fantastischen Geschichten haben jüngst andere Elektro-Heroen wie Turner, Schneider TM oder den sexy Crooner Gonzales zu Remixen inspiriert – teilweise sehr gelungen, nur manchmal frisst sich ein unangenehmes Fiepen in die Nervenenden, so dass man sich doch lieber das zweite Quarks-Album Königin anhört, das einen sicher und wohlbehalten durch die kalten Tage bringt.

Die dritten im Bunde sind die beiden großen Sympathen von Komäit, die voller Charme und Ruhe Loop an Loop reihen und das Beste aus Computer und LoFi wie selbstverständlich zu vereinen wissen (was man auf dem zart-corigen Debutalbum vom vergangenen Jahr hören kann). Da geht einem buchstäblich das Herz auf – schmelz.

Und wenn nach dem Konzert Bands und ZuschauerInnen so richtig schön in den Seilen hängen, springt DJ (nein, verflixt nochmal, bitte sage niemand mehr DJane, schliesslich sind die männlichen Kollegen auch keine DTarzans, oder? Na also) Luka Skywalker aufs Podest und haut uns ihre Ass-Kicking-Melange aus House, Speed Garage, Funky Techno und Disco um die willigen Ohren. Da wird dann noch die eine oder andere Hüfte geschwungen und man (frau?) tritt gestärkt gegen die Kälte aus den Kellergemächern empor. Denen, die sich nicht aufraffen können, ihren Ofen zu verlassen, sei wärmstens empfohlen, doch wenigstens das FSK einzuschalten, dort wird die ganze Sache nämlich live übertragen.

Freitag, 21 Uhr, Molotow