: Zwischen den Fronten: die Armee
Jugoslawiens Militär ist keine zuverlässige Stütze Milošević’ mehr. Kritik am Stabschef
von MILOŠ VASIĆ
Ende vergangener Woche veröffentlichte die jugoslawische Armee ein Kommuniqué, das besagt, das Militär werde den in den freien und demokratischen Wahlen zum Ausdruck gekommenen Volkswillen respektieren. Als ein Zeichen guten Willens kündigte die Führung unter Generalstabschef Nebojša Pavković an, sie wolle Reservisten und Wehrdienstleistenden erlauben, für die Teilnahme an der zweiten Runde der jugoslawischen Präsidentschaftswahlen am 8. Oktober die Kasernen zu verlassen. Ein ungewöhnlicher Schritt: Bei den bisherigen Wahlen hatten die aktiven Soldaten immer in speziellen Wahllokalen in den Kasernen ihre Stimmen abgeben müssen. Nur Offiziere und Zivilpersonal durften in ihren Wohnbezirken wählen.
Wahlbetrug beim Militär
So auch am 24. September. Aber dann stieß die Bundeswahlkommission ausgerechnet bei den Polizei- und Militärstimmen auf Anzeichen für einen Wahlbetrug. Quellen aus der Kommission berichten, dass die Auszählung unterbrochen werden musste, als Milošević’ Helfer feststellten, wie viele Militärs und Polizisten für den Oppositionskandidaten Vojislav Koštunica gestimmt hatten. Schon dies war illegal. Als die oppositionellen Kommissionsmitglieder dagegen protestierten, wurden sie verprügelt und hinausgeworfen.
Besonders peinlich ist die Geschichte für den Generalstabschef. General Pavković unterstützt seit seiner Nominierung Ende 1998 öffentlich die Partei von Mira Marković, der Ehefrau des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević. Diesmal hatte er während des Wahlkampfes in seinem patriotischen Eifer der Opposition angedroht, die Armee werde am 24. September „als Erste auf dem Schlachtfeld sein“.
Doch der 24. September verlief anders, als Pavković erwartet hatte. Als Milošević’ Leute dann noch in ihrer Panik versuchten, die Stimmen der Armee für einen Wahlbetrug zu benutzen, war auch für den Generalstabschef das Maß voll. Außerdem kam schnell die Frage auf, was denn passieren würde, wenn Vojislav Koštunica wirklich der gewählte Präsident wäre.
Pavković ist sich bewusst, dass seine Beförderung zum General nicht ganz legal verlaufen ist: Milošević hatte ihn alleine berufen, obwohl laut jugoslawischer Verfassung nur der Hohe Verteidigungsrat Generalstabsoffiziere ernennen darf. Ihm gehören der jugoslawische, der serbische und der montenegrinische Präsident an. Und Vojislav Košunica ist ein bekannter und engagierter Verfassungsrechtler ... Das Militär kann seine Augen nicht länger vor der Realität verschließen. Eine skandalöse Wahlfälschung, der Geruch von Gewalt in der Luft, ein drohender Bürgerkrieg, bessere Gehälter und höheres Ansehen der Polizei, Angst vor der unsicheren Zukunft, der offensichtliche Sieg der Opposition – die Mischung hat sich verändert.
Sollte Milošević jetzt versuchen, die Armee gegen die Bevölkerung einzusetzen – es würde wohl nicht klappen. Und wenn doch, dann wäre das das Ende der Armee, die Jugoslawien bisher kannte. Die Montenegriner würden nicht zögern, die Kasernen zu umzingeln, ihnen die Wasser- und Stromzufuhr abzustellen, die Telefonleitungen zu kappen und die Soldaten am Ende zu entwaffnen, weil die Armee gleichzeitig Serbien sichern müsste.
Große Teile der Bevölkerung, das offizielle Montenegro, die orthodoxe Kirche und selbst Milošević’ bisherige Verbündete um den rechtsextremistischen Politiker Vojislav Šešelj haben Koštunica als gewählten Präsidenten anerkannt – genauso wie das Ausland inklusive Griechenlands und Russlands, die beide versuchen, Milošević zum Aufgeben zu überreden.
Der Präsident selbst lässt Versuchsballons steigen. Am Wochenende verkündete sein Bruder Boro Milošević, Botschafter in Moskau, zeitgleich mit dem Ljubisa Ristić, dem Vorsitzenden der JUL-Partei der Milošević-Gattin, der Noch-Präsident sei bereit, das Amt des Premierministers zu übernehmen, um Zusammenstöße zu vermeiden.
Die Verteidigung eines Präsidenten, der anbietet, Premier seines Nachfolgers zu werden, ist ein halsbrecherisches Unterfangen – vor allem, da absehbar ist, dass am Ende in jedem Fall ein Staatsoberhaupt namens Vojislav Koštunica das Kommando hat. Generäle und Offiziere haben Mieten und Rentenbeiträge zu zahlen sowie Kinder zu erziehen. Jede jugoslawische Regierung wird eine Armee brauchen – auch eine unter Koštunica.
Die Montenegriner würden sich mit einem neuen Präsidenten anfreunden, und wieder beginnen, ihre Zukunft innerhalb des gemeinsamen Staates zu suchen. Und tief drinnen gibt es da auch noch die Hoffnung, dass Jugoslawien dem Nato-Bündnis „Partnerschaft für Frieden“ beitreten könnte und dort seine Streitkräfte modernisieren und wiederaufbauen könnte ...
Was hat Milošević zu bieten?
Große Teile des Armeepersonals haben genug von General Pavković, seinem Umfeld und dessen Pro-Milošević-Haltung. Was die jugoslawische Armee dringend benötigt, sind stabile Verhältnisse. Keine Kriege mehr, Modernisierung, Geld und Zukunft. Milošević hat diesbezüglich nichts zu bieten.
Zwei vom Präsidenten abgesetzte Generäle führen heute Oppositionsparteien. Momčilo Perisić, Chef des Generalstabes von 1993 bis 1998, und Vuk Obradović, ehemals Chef der politischen Leitung der Armee. Perisić verlor seinen Job im November 1998, weil er sich öffentlich gegen eine Konfrontation mit der Nato ausgesprochen hatte. Er sagte nicht nur das Ende eines solchen Krieges voraus, sondern fügte hinzu, Jugoslawien hätte seit langem den Kurs ändern, Antrag auf Mitgliedschaft in der „Partnerschaft für Frieden“ und der Nato stellen sollen. General Obradović wurde bereits 1992 gefeuert, weil er ehrgeizig war und eigenständige Ideen verfolgte.
Beide Exgeneräle sind relativ jung, ehrgeizig und selbstbewusst. Beide wenden sich explizit an ihre Offizierskollegen. Beide sind ständige Gäste auf Oppositionsveranstaltungen, und beide unterstützen Koštunica bedingungslos. Käme es zu Gewaltausbrüchen oder – Gott bewahre! – einem Bürgerkrieg in Jugoslawien, dann würde die jugoslawische Armee auch von ihrer Haltung beeinflusst. Niemand erwartet mehr, dass die Armee ihre Waffen gegen die Bevölkerung richtet. Niemand würde mehr ernsthaft behaupten, das Militär werde Milošević bis zum letzten Mann verteidigen. Wahrscheinlicher ist ein Ende à la Rumänien: ein kurzer, aber heftiger Gewaltausbruch, der mit einem Aufstand des Militärs und Teilen der Sicherheitskräfte endet.
Aus dem Englischen übersetzt von Rüdiger Rossig
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