PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN IN JUGOSLAWIEN ANNULLIERT: Echte Herausforderung
Man kann den serbischen Oppositionsführer Vojislav Koštunica nur zu seinem analytischen Gespür beglückwünschen, mit dem er scharfsinnig feststellte: Die Annullierung der Präsidentenwahlen durch das Verfassungsgericht könne eine Falle sein. Diese Falle, die die Opposition dummerweise durch ihren Antrag auf Überprüfung auch noch selbst aufgestellt hat, ist nun zugeschnappt. Und das sogar noch heftiger als vermutet. Schließlich ist mit dem Verdikt des Gerichts der gesamte Wahlgang gekippt und muss komplett wiederholt werden.
Zugegeben, dem jüngsten Schachzug von Milošević und Co. haftet schon etwas Geniales an. Zwar sind jetzt die massiven Wahlfälschungen auch noch von oberster juristischer Seite offiziell bestätigt. Aber als Dank für dieses Eingeständnis soll jetzt einer der Urheber dieses Betruges auch noch unbehelligt einige Monate weiter amtieren dürfen.
Zumindest eins hat das Regime erst einmal gewonnen: Zeit. Doch ob diese Rechnung aufgeht, ist fraglich. Immerhin hat die Opposition in den letzten Tagen wiederholt bewiesen, dass sie ihre Anhänger in Belgrad und anderen Städten des Landes in großer Anzahl zu mobilisieren in der Lage ist. Auch Einzelaktionen wie die Antwort auf die Polizeiintervention im bestreikten Bergwerk Kolubara und Streiks in den staatlichen Medien verbunden mit der Forderung nach unabhängiger Berichterstattung deuten eher darauf hin, dass mit einem baldigen Rückzug der Opposition nicht zu rechnen ist. Zudem stehen die Gegner von Milošević, zumindest bis jetzt, geschlossen hinter einem Mann: Vojislav Koštunica.
Dennoch: Flankiert von einem verstärkten, prügelnden Polizeiaufgebot könnte sich das Milošević-Regime jetzt darauf verlegen, seine Widersacher im wahrsten Sinne des Wortes auszuhungern und kaltzustellen. Schon jetzt ist in Serbien der Strom rationiert. Andauernde Streiks könnten die ohnehin bereits desolate Wirtschaftslage für das Gros der Bevölkerung weiter verschlechtern. Und folglich, besonders angesichts des bevorstehenden Winters, die Demonstrationslust nicht gerade steigern. Der Kampf in Serbien ist gestern in die nächste Runde gegangen. Die Opposition kämpft unter erschwerten Bedingungen. Sie muss ihr Durchhaltevermögen auf der Straße beweisen.
BARBARA OERTEL
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