■ H.G. Hollein: Gegendarstellung
Die Frau, mit der ich lebe, hält mich in letzter Zeit wiederholt zur Wahrheit an. Und zwar nachdrücklich. Das kann ich gar nicht verstehen. Bemühe ich mich doch seit nunmehr fast drei Jahren um eine geradezu sklavische Faktentreue bei der Wiedergabe unserer häuslichen Begebnisse. Trotzdem findet die Gefährtin, ich verliehe ihr in meinen kunstvoll pointierten Miniaturen durchweg bedenkliche, ja ins Groteske spielende Züge. Es sei vielmehr so, dass sie mit unerschöpflicher Energie und märtyrerhaftem Aufopferungswillen für das wirtschaftliche und gestalterische Gedeihen unserer kleinen häuslichen Gemeinschaft wirke. So beginnt sie schon tief in der Nacht mit dem Austragen von Zeitungen und Werbebroschüren, um sich anschließend mit einem fröhlichen Liedchen auf den Lippen an ihre eigentliche Arbeit zu begeben. Die unterbricht sie nur, um in der Mittagspause die Einkäufe des Tages zu erledigen, damit sie nach Feierabend genügend Zeit hat, unser „kleines Nestchen“ auf „Vordermann“ zu bringen, bevor sie ihrem müde heimkehrenden Liebsten schnell noch „was Kleines“ auf den Tisch zaubert. Dann muss die Gefährtin auch schon wieder los und hier und da noch ein Paar Büros putzen. Bei all dem findet sie sogar noch Zeit, Körper und Geist in Topform zu bringen. Sie joggt, dass es nur so eine Art hat, und stemmt Gewichte sonder Zahl, und auch die Kultur kommt nicht zu kurz. Mit ihrer Einpersonen-Hobby-Theatergruppe hat sie schon etliche fürwahr beindruckende Auftritte einstudiert. Und das geht ihr alles so flott von der Hand, dass des Gefährten Auge kaum folgen kann. Vielleicht ist mir deshalb auch der Hund entgangen, den die Gefährtin angeblich zwischendurch noch ausführt. So weit ich mich erinnere hatten wir nie einen, aber wie die vorausgegangenen Zeilen zeigen, weisen meine Sicht und die Selbstwahrnehmung der Gefährtin gewisse Differenzen auf.
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