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Selbstversuch: Spekulation

Wie ich einmal 2.000 Euro auf eine Firma setzte, die sich als windig entpuppte – und mit einem bescheidenen Gewinn davonkam. Kurse schwanken – mal mit, mal ohne erkennbaren Grund

von MATTHIAS URBACH

Natürlich ist Spekulieren Schweinkram. Aber reizen tut es mich schon. Mitte August hatte ich 2.000 Euro über. Wohin damit? Von der in allen Anlageblättern herbeigesehnten „Sommer-Rallye“, von dem Ansturm der Anleger auf Aktien, war nichts zu spüren. Wäre abwarten nicht sinnvoller?

Ein Kumpel von mir – der praktischerweise über Aktienmärkte forscht – gibt mir damals einen Tipp: Gerade hat er eine Studie gelesen über Aktiensplits. Dabei wird für jede gehaltene Aktie eine Anzahl von Gratisaktien ausgegeben. Bei einem Aktiensplit von zum Beispiel eins zu fünf gibt es vier Aktien gratis. Im Resultat sinkt der Aktienkurs auf ein Fünftel. Praktisch hat sich nichts verändert, außer dass jeder Aktionär fünfmal mehr Aktien hat, die jeweils ein Fünftel wert sind.

„Der Clou aber ist“, klärt mich mein Freund auf, „dass im Schnitt der Wert der gehaltenen Aktien dabei um vier Prozent steigt.“ Der Grund: Der niedrigere Kurs senkt die psychologische Schwelle neu einzusteigen. Man kauft eher eine Aktie, die nur 20 statt 100 Euro kostet. Außerdem bringt ein Aktiensplit eine Nachricht mit sich – und eine Nachricht unterstützt immer den Kurs, denn sie macht neue Anleger aufmerksam. „Gerade habe ich gelesen“, sagt mein Kumpel, „dass Metabox einen Aktiensplit zum ersten September angekündigt hat.“

Metabox – warum nicht? Zwar ist die Firma am Neuen Markt gelistet, ein junges Unternehmen, das im Verhältnis zum Kurs noch wenig Gewinn erwartet, mit Kursschwankungen im Intraday-Handel (während der Börsenzeiten eines Tages) von gern mal zehn Prozent. Aber vielleicht fällt dafür ja auch das Plus durch den Aktiensplit höher aus. Mir gefällt die Idee – wenn es für die Kurse all dieser gehypten Unternehmen ohnehin keine verlässliche Basis gibt, warum nicht auf die Psychologie der Anleger spekulieren. Sehr gerissen, denke ich.

„Und die hohen Schwankungen im Tageshandel haben auch Vorzüge“, klärte mich mein Freund auf. „Man kann nämlich beim Aktienkauf ein Limit setzten.“ Ein Limit ist der Preis, den man höchstens zahlen möchte. Geschickt gewählt lasse sich so die Aktie noch ein wenig billiger erstehen als zum Schlusskurs. Ich hatte bisher immer „billigst“ geordert, einer Auftragsart, bei der ein Händler den Preis frei aushandelt. Das sei aber nicht immer die billigste Variante, muss ich erfahren.

Nun will ich es wissen. Ich besuche die Internetseite der Firma und erfahre, dass sie Set-Top-Boxen baut. Die kann man an seinen Fernseher anschließen und dann ohne PC im Internet surfen. Eine einleuchtende Geschäftsidee, nebenbei sogar ökologisch sinnvoll. Als ich auf den Internetseiten meiner Direktbank sehe, dass sich der Kurs der Aktie in nur zwei Monaten verdoppelt hat, zögere ich einen Moment. Allerdings hat er auch schon zwei größere Korrekturen hinter sich. Im News-Service (Nachrichtendienst) meiner Bank finde ich außer der Split-Ankündigung nichts als eine aufmunternde Chartanalyse (eine Analyse des Kursverlaufs), die auf eine „Unterstützungslinie“ bei 140 Euro hinweist. Als Naturwissenschaftler gehe ich davon aus, dass Chartanalysen eigentlich Unsinn sind. Aber Anleger glauben dran: eine self-fullfilling prophecy (sich selbst erfüllende Prophezeiung). Und für meinen Plan muss der Kurs der Aktie nur ein paar Wochen durchhalten.

Der Kurs schwankt um die 160 Euro, leicht sinkend. Ich setze ein Kauflimit auf 155 und kriege zwölf Aktien, obwohl sie mit über 158 Euro schließt – und nach meinem Auftrag der Intraday-Kurs nicht mehr unter 156 Euro ermittelt wurde. Das liegt daran, dass stets der Mittelwert mehrerer Geschäftsabschlüsse den Kurs bildet. So macht das Spaß.

Die gute Laune vergeht rasch, als ich mich die folgenden Tage näher mit der Aktie beschäftige. Ich nutze unser Zeitungsarchiv und erfahre, dass Metabox vor allem wegen eines angekündigten Großauftrags über angeblich 1,8 Millionen Boxen nach Skandinavien so stark gestiegen war. Der ist aber noch immer nicht unter Dach und Fach. Ende Juni hatte der Metabox-Chef erklärt, in einigen Woche seien die Details ausgehandelt. Inzwischen ist Mitte August – und der Auftrag noch immer nicht über den letter of intend (Vorvertrag) hinaus. Das hätte ich mit viel Mühe auch über das News-Archiv meiner Bank herausfinden können, wie ich beim Surfen feststelle – allerdings versteckt zwischen sehr vielen wenig informativen Meldungen.

Am 24. August schaue ich in die Nachrichten meiner Bank und finde ein abscheulich liebedienerisches Interview mit einem Metabox-Vorstandsmitglied. Fragen wie: „Sie haben ja eine große Fangemeinde, wie gehen Sie persönlich mit dem Kultstatus um?“, bringen mich auf die Palme. Der Vorstand sagt nichts Neues, aber immerhin etwas Beruhigendes zum Großauftrag: Der sei „bis zum Ende durchfinanziert“. Allein das treibt die Aktie um zehn Prozent hoch.

Mir ist das nicht geheuer. In zwei Tagen fahre ich außerdem für zwei Wochen in Urlaub – und zwei Wochen scheinen mir inzwischen zu lang für diese Aktie. Ich will verkaufen. Also gebe ich meine Order mit einem möglichst hoch angesetzten Verkaufslimit. Genau studiere ich vormittags den bisherigen Intraday-Chart (den Kursverlauf am Tag) auf meinem Computer und setzte den Kurs – zweimal zu hoch. Ich bleibe auf der Aktie sitzen, der Kurs sinkt weiter. Am letzten Abend vor der Abreise stürzt auch noch mein PC ab. Als ich die Sache im Griff habe, ist der Kurs schon wieder auf altem Niveau. Mein Kumpel macht sich lustig über meine aufkeimende Nervosität. Ich beschließe, ihm während meiner Reise die Aufsicht über die Aktien zu geben.

Der Urlaub ist prächtig. Am ersten September ruft mich mein Kumpel auf dem Handy an. Ich sitze gerade in Lissabon im Cafe und schlecke Eis. „Die Aktie steht nach dem Split bei 37 Euro“, sagt er. „Gut, oder?“ Ich überschlage im Kopf: Beim Split eins zu fünf entspricht das einem Kurs von – Moment – 185 Euro! Ein satter Gewinn von 600 Mark. „Hast du verkauft?“, frage ich. „Nein“, sagt er, „noch nicht.“ „Dann aber schnell“, fordere ich. Doch er weiß nicht, ob er es noch schafft. Er müsse noch einiges erledigen.

Er schafft es nicht. Als er tags darauf zu seinem Computer kommt, sind die Aktien schon wieder bei 32 Euro. Gewinnmitnahmen, kein genereller Trend, denkt er und wartet ab. Nach zwei Tagen Warten ruft er mich panisch an, erwischt mich am Strand 200 Kilometer südlich von Lissabon. Die Aktie ist weiter gesunken – liegt nun bei nahe 30 Euro. „Wenn ich jetzt nicht verkaufe, machst du Verlust.“

Erfüllt von der Sonne Portugals ermahne ich ihn, nicht die Nerven zu verlieren: Lieber ein wenig Verlust riskieren, als zu früh verkaufen. Wir einigen uns, noch mindestens einen Tag zu warten. Mein Kumpel tut es – und wird dank geschickt gesetztem Limit die Aktie noch für 33,25 Euro los. Abzüglich der knapp 21 Euro Gebühr verdiene ich so 114,03 Euro an meinen inzwischen 60 Aktien. Immerhin. Mehr als genug für eine gute Flasche Portwein.

Er hat keinen Tag zu spät verkauft. Denn seit dem ist die Aktie rapide gefallen. Eine Woche später lag sie schon bei 20 Euro – der Absturz vom Set-Top-Boxen Hersteller Infomatec zieht Metabox mit nach unten. Eine überraschende Gewinnwarnung gibt der Metabox-Aktie Ende September den Rest: Statt den angekündigten 14 Millionen Mark Gewinn für dieses Jahr erwartet die Firma nun 15 Millionen Mark Verlust. Technische Probleme verzögern die Auslieferung von 500.000 Boxen, lautet die Begründung. Der Kurs fällt auf unter 7 Euro. Ganz zu schweigen vom Großauftrag nach Skandinavien, der immer noch nicht sicher ist.

Gerade noch mal Glück gehabt. Während ich diese Zeilen schreibe steigt der Metabox-Kurs wieder sprunghaft an. Ohne erkennbaren Grund. Die Analysten, die die Aktie lange kritiklos empor gelobt hatten und einen Kurs von bis zu 220 Euro sahen (vor dem Aktiensplit), sind noch immer verschnupft über die merkwürdige Informationspolitik. Einer stuft Metabox auf „Verkaufen“ ein, weil die Faktenlage einfach zu nebulös sei. Aber einige Spekulanten greifen zu angesichts eines Kurses, der inzwischen unter dem Einstandskurs (dem ersten Kurs nach dem Börsengang) der Aktie liegt. Für einen Moment überlege ich. Meine Freundin bringt mich zur Räson.

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